Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Schmutziges Wasser floss in kleinen Rinnsalen durchs Gras, und ringsum sah man irgendwelche Lumpen, gestrickte Strümpfe, eine rote Baumwollbluse und ein großes Laken aus schwerem Tuch, der Länge nach über die Hecke gebreitet. Als sie das Gatter knirschen hörte, erschien die Amme, ein nuckelndes Kind auf dem Arm. Mit der anderen Hand zog sie ein armseliges, schwächliches Balg hinter sich her, dessen Gesicht von Skrofeln bedeckt war, der Sohn eines Wirk- und Strickwarenfabrikanten aus Rouen, den seine mit dem Geschäft überlasteten Eltern in ländlicher Obhut ließen.
»Treten Sie ein«, sagte sie; »Ihre Kleine ist drinnen und schläft.«
In dem Erdgeschosszimmer, dem einzigen des ganzen Hauses, stand hinten an der Wand ein breites Bett ohne Vorhänge, während der Backtrog die Seite mit dem Fenster ausfüllte, dessen eine Scheibe geflickt war mit einer Sonne aus blauem Papier. Im Winkel hinter der Tür waren Stiefel mit glänzenden Nägeln unter dem Waschbecken aufgereiht, neben einer vollen Ölflasche, aus deren Hals eine Feder ragte; ein Mathieu Laensberg lag auf dem verstaubten Kamin, zwischen Feuersteinen, Kerzenstummeln und Zunderstückchen. Die größte Überflüssigkeit dieses Heims war schließlich eine Fama, die in ihre Posaune blies, und dieses sicher aus irgendeiner Parfümeriereklame ausgeschnittene Bild war mit sechs Holzschuhstiften an die Wand genagelt.
Emmas Kind schlief am Boden, in einer Wiege aus Korbgeflecht. Sie nahm es mitsamt der Decke, in die es gehüllt war, und begann, sich in den Hüften wiegend, leise zu singen.
Léon spazierte im Zimmer auf und nieder; es schien ihm seltsam, diese schöne Dame in ihrem Nankingkleid umgeben von solchem Elend zu sehen. Madame Bovary wurde rot; er wandte sich ab, weil er glaubte, seine Blicke wären vielleicht ungehörig. Dann legte sie die Kleine zurück, sie hatte sich auf ihren Spitzenkragen erbrochen. Schnell wischte die Amme alles weg und versicherte, es sei nichts mehr zu merken.
»Die macht noch weit Schlimmeres«, sagte sie, »und ständig muss ich an ihr rumputzen! Hätten Sie also vielleicht die Güte, dem Krämer Camus aufzutragen, er möchte mir ein wenig Seife aushändigen, wenn ich welche brauche? Das wäre auch für Sie bequemer, weil ich Sie dann nicht bemühen muss.«
»Schon gut, schon gut!« sagte Emma. »Auf Wiedersehen, Mutter Rolet!«
Und beim Hinausgehen streifte sie auf der Schwelle die Füße ab.
Die Frau begleitete sie über den ganzen Hof und klagte, wie schwer es ihr falle, nachts aufzustehen.
»Manchmal bin ich so zerschlagen, dass ich auf meinem Stuhl einschlafe; drum sollten Sie mir wenigstens ein Pfündchen gemahlenen Kaffee geben, damit würde ich einen Monat auskommen, und den könnte ich in der Früh mit etwas Milch trinken.«
Nachdem sie ihren Dank hingenommen hatte, machte sich Madame Bovary auf den Weg; und sie war schon ein Stück weit gelangt, als sie Holzpantinen klappern hörte und sich umsah: es war die Amme!
»Was ist los?«
Da zog die Bäuerin sie beiseite, hinter eine Ulme, und begann von ihrem Mann zu erzählen, der, bei seinem Handwerk und sechs Franc im Jahr, die der Hauptmann …
»Reden Sie schneller«, sagte Emma.
»Nu«, sagte die Amme und seufzte nach jedem Wort, »ich hab Angst, dass er sich grämt, wenn er mich allein Kaffee trinken sieht; Sie wissen, die Männer …«
»Sie bekommen welchen«, sagte Emma noch einmal, »ich gebe Ihnen ja welchen! … Sie werden mir lästig!«
»Ach Gott! meine gute Gnädigste, er hat doch wegen seinen Verletzungen so schreckliche Krämpfe in der Brust. Er sagt sogar, dass ihn der Cidre schwächt.«
»Jetzt machen Sie schon, Mutter Rolet!«
»Also«, fuhr diese fort und krümmte den Rücken, »wenn’s nicht zuviel verlangt ist …«, noch einmal verneigte sie sich, »wann immer Sie möchten«, und ihr Blick flehte, »ein Krüglein Schnaps«, sagte sie endlich, »und ich will damit auch die Füße Ihrer Kleinen einreiben, die so zart sind wie eine Zunge.«
Von der Amme befreit, nahm Emma wieder Monsieur Léons Arm. Eine Weile ging sie mit raschem Schritt; dann wurde sie langsamer, und ihr schweifender Blick fiel auf die Schulter des jungen Mannes, dessen Gehrock einen schwarzen Samtkragen hatte. Seine kastanienbraunen Haare lagen darüber, glatt und sorgfältig gekämmt. Ihr fielen seine Fingernägel auf, die länger waren als in Yonville üblich. Sie zu pflegen war eine der Hauptbeschäftigungen des Kanzlisten; und zu diesem Zweck hatte er
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