Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
zerschlagen hockte sie da, nach Atem ringend, starr, leise schluchzend, mit herabrollenden Tränen.
»Warum sagen Sie nichts zu Monsieur?« fragte ihre Dienerin, wenn sie während solcher Anfälle hereintrat.
»Es sind die Nerven«, erwiderte Emma; »erzähl nichts, du bereitest ihm nur Kummer.«
»Ach ja!« meinte Félicité, »Ihnen geht es genau wie der Guérine, der Tochter vom Vater Guérin, einem Fischer in Le Pollet, ich kannte sie in Dieppe, bevor ich zu Ihnen gekommen bin. Sie war so traurig, so traurig, wenn sie auf der Schwelle vor ihrem Haus stand, sah es aus, als wäre ein Leichentuch aufgespannt vor der Tür. Ihre Krankheit, so scheint’s, war eine Art Nebel, den sie im Kopf hatte, und die Ärzte konnten dagegen nichts tun, der Pfarrer genausowenig. Wenn es sie allzu heftig überkam, lief sie allein hinunter ans Meer, und der Zollwächter auf seinem Rundgang fand sie oft bäuchlings hingestreckt, weinend im Kies. Dann, nach ihrer Hochzeit, hat sich’s verloren, sagt man.«
»Aber bei mir«, entgegnete Emma, »hat es nach der Hochzeit erst angefangen.«
Anmerkungen
VI.
Eines Abends, als sie am offenstehenden Fenster saß und eine Weile dem Kirchdiener Lestiboudois zugeschaut hatte, der die Buchsbäume schnitt, hörte sie plötzlich das Läuten zum Angelus .
Es war Anfang April, wenn die Primeln blühen; ein lauer Wind streicht über die umgegrabenen Beete, und die Gärten scheinen sich herauszuputzen wie Frauen für die sommerlichen Feste. Durch die Eisenstäbe der Laube und jenseits davon, ringsumher, sah man den Fluss auf der Wiese, wo er ein geschlängeltes Band ins Gras zeichnete. Der Abenddunst zog durch die blattlosen Pappeln, ließ ihre Umrisse verschwimmen in einem Veilchenblau, das blasser war und durchscheinender als ein in ihrem Geäst verfangener, hauchzarter Flor. In der Ferne trottete Vieh; man hörte weder Schritte noch Muhen; und die Glocke, die immer noch läutete, verbreitete in der Luft ihre friedliche Klage.
Bei diesem hartnäckigen Bimmeln irrten die Gedanken der jungen Frau zu ihren alten Erinnerungen an Jugend und Internat. Die hohen Kerzenleuchter kamen ihr in den Sinn, die auf dem Altar die blumengefüllten Vasen überragten und den Tabernakel mit seinen Säulchen. Gern wäre sie, ganz wie einst, mit der langen Reihe der weißen Schleier verschmolzen, aus der hier und da die steifen Kapuzen der über ihre Betschemel gebeugten Nonnen schwarz herausstachen; sonntags, in der Messe, wenn sie den Kopf hob, erblickte sie das sanfte Gesicht der Jungfrau Maria zwischen den bläulichen Schwaden aufsteigenden Weihrauchs. Da wurde sie auf einmal von Rührung ergriffen; sie fühlte sich weich und verlassen, wie eine Vogelfeder, die umherwirbelt im Sturm; und ohne dass es in ihr Bewusstsein drang, lenkte sie ihre Schritte zur Kirche, bereit zu jeder Art von Andachtsübung, wenn sie nur ihre Seele darin versenken konnte und die ganze Existenz verschwand.
Auf dem Platz begegnete sie Lestiboudois, der schon zurückkam; um sich den Tag nicht zu verkürzen, unterbrach er seine Arbeit lieber und nahm sie hinterher wieder auf, sodass er zum Angelus bimmelte, wann es ihm gerade passte. Außerdem gemahnte das frühe Läuten die Kinder, dass es Zeit war für die Katechismusstunde.
Einige, die schon da waren, spielten mit ihren Murmeln auf den Steinplatten des Friedhofs. Andere saßen rittlings auf der Mauer, schwangen die Beine und köpften mit ihren Holzpantinen die hohen Brennesseln, die zwischen der kleinen Umfriedung und den letzten Gräbern wuchsen. Das war der einzige grüne Fleck; überall sonst war nur Stein, immerzu bedeckt mit einer feinen Staubschicht, dem Sakristeibesen zum Trotz.
Die Kinder in Schlappen flitzten umher wie auf einem für sie gelegten Parkett, und ihre Stimmen gellten durch das Gedröhn der Glocke. Es wurde schwächer beim Auspendeln des dicken Seils, das vom Glockenturm aus großer Höhe herabfiel und mit seinem Ende über den Boden schleifte. Schwalben schossen vorüber mit kurzem Schrei, durchschnitten die Luft in messerscharfem Flug und verschwanden rasch wieder in ihre gelben Nester, unter die Ziegel der Dachtraufe. Ganz hinten in der Kirche brannte ein Lämpchen, das heißt, der Docht eines ewigen Lichts in einem hängenden Glas. Sein Schimmer wirkte aus der Ferne wie ein weißlicher Fleck, zitternd auf dem Öl. Ein langer Sonnenstrahl fiel durch das ganze Mittelschiff und machte die Seitenschiffe und Winkel noch dunkler.
»Wo ist der Pfarrer?« fragte
Weitere Kostenlose Bücher