Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
ist nur eine Lappalie«, sagte er und küsste sie auf die Stirn; »mach dir keine Sorgen, armer Liebling, du wirst uns noch krank!«
Er war lange bei dem Pharmazeuten geblieben. Obwohl er nicht sehr erschüttert gewirkt hatte, war Monsieur Homais doch bemüht gewesen, ihn zu stärken, seine Stimmung zu heben . Und so hatte man von den unterschiedlichsten Gefahren gesprochen, die Kindern drohten, und vom Leichtsinn der Dienstboten. Madame Homais konnte ein Lied davon singen, denn sie hatte auf der Brust noch die Narben einer Schüssel voll Glut, die eine Köchin ihr in den Kittel gekippt hatte. Darum trafen diese guten Eltern auch unzählige Vorsichtsmaßregeln. Die Messer waren niemals geschliffen, die Wohnräume niemals gebohnert. Vor den Fenstern waren Eisengitter und an den Rahmen solide Querhölzer. Die kleinen Homais’ taten trotz aller Freiheit keinen Schritt ohne Aufpasser im Rücken; bei der kleinsten Erkältung traktierte ihr Vater sie mit Hustensaft, und bis über das vierte Lebensjahr hinaus mussten alle erbarmungslos wattierte Fallhüte tragen. Das war, offen gestanden, eine Schrulle von Madame Homais; ihr Gatte grämte sich insgeheim darüber, denn er fürchtete die möglichen Folgen eines solchen Drucks auf die Verstandesorgane, und er ließ sich mitunter zu den Worten hinreißen:
»Willst du denn Karaiben aus ihnen machen oder gar Botokuden?«
Charles hatte schon ein paarmal versucht, das Gespräch zu unterbrechen.
»Ich hätte gern mit Ihnen geredet«, flüsterte er leise ins Ohr des Kanzlisten, der sich anschickte, vor ihm die Treppe hinabzusteigen.
»Ahnt er irgendetwas?« fragte sich Léon. Er bekam Herzklopfen und verlor sich in Mutmaßungen.
Als Charles die Tür endlich hinter sich zugezogen hatte, bat er ihn, persönlich in Rouen nachzufragen, wie teuer eine schöne Daguerreotypie sein mochte; es handle sich um eine liebevolle Überraschung, die er seiner Frau zu bereiten gedenke, eine delikate Aufmerksamkeit, sein Porträt in schwarzem Frack. Zuvor jedoch wollte er wissen, woran er war ; diese Erkundigungen würden Monsieur Léon nicht weiter lästig fallen, er fuhr sowieso fast jede Woche in die Stadt.
Wozu? Homais witterte irgendeine Junggesellengeschichte , eine Affäre. Doch er irrte sich; Léon hatte keinerlei Liebschaft. Er war trauriger denn je, und Madame Lefrançois merkte es ganz genau, weil er jetzt so viel vom Essen auf seinem Teller liegenließ. Um Näheres zu erfahren, fragte sie den Steuereinnehmer; Binet antwortete barsch, er werde nicht von der Polizei bezahlt .
Sein Tischgenosse erschien ihm freilich sehr eigen; denn oft lehnte sich Léon auf seinem Stuhl zurück, breitete die Arme aus und klagte nebulös über das Leben.
»Sie müssen sich mehr Zerstreuungen suchen«, sagte der Steuereinnehmer.
»Und welche?«
»An Ihrer Stelle würde ich mir eine Drechselbank anschaffen!«
»Ich kann aber nicht drechseln«, erwiderte der Kanzlist.
»Ach ja! richtig!« meinte der andere und rieb sich die Kinnlade mit einem Ausdruck von Verachtung und Zufriedenheit.
Léon war es müde, erfolglos zu lieben; mit der Zeit verspürte er auch jene Niedergeschlagenheit, die hervorgerufen wird vom Einerlei des immergleichen Lebens, wenn kein Ziel ihm eine Richtung gibt und keine Hoffnung einen Halt. Er hatte Yonville und seine Bewohner derart satt, dass er den Anblick gewisser Leute, gewisser Häuser nicht mehr ausstehen konnte; und der Apotheker, so gut der Mann auch sein mochte, wurde ihm vollkommen unerträglich. Die Aussicht auf neue Lebensumstände schreckte ihn jedoch ebensosehr, wie sie ihn verlockte.
Diese Furcht wandelte sich schnell in Ungeduld, und Paris rief aus der Ferne mit dem Getöse seiner Maskenbälle und dem Lachen seiner Grisetten. Da er sein Jurastudium nun einmal dort abschließen sollte, warum ging er dann nicht gleich? Wer hinderte ihn? Und er begann gedanklich Vorbereitungen zu treffen: er plante im voraus seine Beschäftigungen. Er möblierte im Kopf eine Wohnung. Er würde ein Künstlerleben führen! Er würde Gitarrenunterricht nehmen. Er würde einen Hausmantel haben, eine Baskenmütze, Pantoffeln aus blauem Samt! Und er bewunderte schon jetzt auf seinem Kamin zwei gekreuzte Florette, darüber ein Totenkopf und die Gitarre.
Schwierig war nur, die Zustimmung seiner Mutter zu erhalten; obwohl nichts vernünftiger schien. Sein Chef riet ihm sogar, sich eine andere Kanzlei anzuschauen, wo er noch dazulernen könne. Also fasste Léon einen halben Entschluss
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