Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
und suchte nach irgendeiner Stelle als zweiter Kanzlist in Rouen, fand keine und schrieb seiner Mutter schließlich einen langen, ausführlichen Brief, in dem er die Gründe darlegte, warum er sofort umziehen müsse nach Paris. Sie stimmte zu.
Er beeilte sich nicht. Jeden Tag, einen ganzen Monat hindurch, beförderte Hivert für ihn Truhen, Koffer, Pakete von Yonville nach Rouen, von Rouen nach Yonville; und als Léon seine Garderobe aufgefrischt, seine drei Lehnstühle neu gepolstert, einen Stapel Seidentücher gekauft, kurzum, mehr Vorbereitungen getroffen hatte als für eine Reise um die Welt, verschob er seinen Aufbruch von Woche zu Woche, bis ein zweiter Brief seiner Mutter eintraf, der zur Eile drängte, schließlich erwarte ihn vor den Ferien ja noch seine Prüfung.
Als der Augenblick für die Umarmungen gekommen war, weinte Madame Homais; Justin schluchzte; Homais, als starker Mann, verbarg seine Rührung; er wollte den Überrock seines Freundes eigenhändig bis zum Gartentor des Notars tragen, der Léon im Wagen mitnahm nach Rouen. Dieser hatte gerade noch Zeit, sich von Monsieur Bovary zu verabschieden.
Oben auf der Treppe angelangt, hielt er inne, denn er war völlig außer Atem. Bei seinem Eintreten erhob sich Madame Bovary rasch.
»Da bin ich noch einmal!« sagte Léon.
»Ich wusste es ja!«
Sie biss sich auf die Lippen, und ein Schwall Blut schoss ihr unter die Haut, die sich rosarot färbte, von den Haarwurzeln bis an den Rand ihres Spitzenkragens. Sie blieb stehen, lehnte sich mit der Schulter gegen die Holztäfelung.
»Monsieur ist also nicht zu Hause?« sprach er weiter.
»Er ist unterwegs.«
Sie wiederholte:
»Er ist unterwegs.«
Daraufhin war Schweigen. Sie betrachteten einander; und ihre Gedanken, in gleicher Angst vereint, hielten sich eng umschlungen, wie zwei bebende Leiber.
»Ich würde Berthe gern umarmen«, sagte Léon.
Emma ging ein paar Stufen hinunter und rief nach Félicité.
Schnell warf er einen ausgiebigen Blick um sich, der über die Wände glitt, die Etageren, den Kamin, wie um alles zu durchdringen, alles mitzunehmen.
Doch sie kam zurück, und die Magd brachte Berthe, die eine Windmühle verkehrtherum an der Schnur baumeln ließ.
Léon küsste sie mehrmals auf den Hals.
»Leb wohl, armes Kindchen! Leb wohl, liebste Kleine, leb wohl!«
Und er übergab sie der Mutter.
»Gehen Sie wieder mit ihr«, sagte diese.
Sie blieben allein.
Madame Bovary, die ihm den Rücken kehrte, presste ihr Gesicht gegen eine Fensterscheibe; Léon hielt seine Mütze in der Hand und schlug sie leicht gegen den Oberschenkel.
»Es wird regnen«, sagte Emma.
»Ich habe einen Mantel«, antwortete er.
»Ah!«
Sie stand abgewandt, das Kinn gesenkt und die Stirn vorgeschoben. Das Licht glitt darüberhin wie über eine Marmorstatue, bis zur Wölbung der Brauen, ohne dass man hätte wissen können, was Emma am Horizont betrachtete, noch was sie in ihrem Innersten dachte.
»So leben Sie denn wohl!« seufzte er.
Mit einem Ruck hob sie den Kopf:
»Ja, leben Sie wohl …, gehen Sie!«
Sie schritten aufeinander zu; er reichte die Hand, sie zögerte.
»Auf englische Art also«, sagte sie, gab ihm die ihre und zwang sich zu einem Lachen.
Léon spürte sie zwischen seinen Fingern, und ihm war, als ströme die Substanz seines ganzen Wesens hinab in diese feuchte Handfläche.
Dann öffnete er die Hand; ihre Augen begegneten sich noch einmal; und er verschwand.
Unter der Markthalle angelangt, hielt er inne, und er versteckte sich hinter einem Pfeiler, um ein letztes Mal das weiße Haus mit seinen vier grünen Jalousien zu betrachten. Er glaubte einen Schatten zu sehen, hinter dem Fenster, im Zimmer; aber da löste sich der Vorhang von seinem Haken, als habe niemand daran gerührt, bewegte sacht seine langen, schrägen Falten, die mit einem Schwung auseinanderfielen, dann hing er gerade herab, regloser als eine Gipswand. Léon rannte los.
Von weitem erblickte er auf der Straße das Kabriolett seines Chefs und daneben einen Mann im Schurz, der das Pferd hielt. Homais und Monsieur Guillaumin redeten miteinander. Man wartete auf ihn.
»Umarmen Sie mich«, sagte der Pharmazeut mit Tränen in den Augen. »Hier ist Ihr Überrock, mein lieber Freund; schützen Sie sich gegen die Kälte! Achten Sie auf Ihre Gesundheit! Schonen Sie sich!«
»Auf, auf, Léon, in den Wagen!« sagte der Notar.
Homais beugte sich über den Kotschutz und hauchte mit tränenerstickter Stimme die zwei traurigen
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