Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Hippolyte es schließlich nicht mehr aushielt, entfernten sie noch einmal das Gestell und wunderten sich maßlos über das Ergebnis, welches sie vor Augen hatten. Eine aschgraue Geschwulst überzog das Bein, mit Blasen hier und dort, aus denen schwarze Flüssigkeit quoll. Die Sache wurde ernst. Hippolyte langweilte sich allmählich, und Mutter Lefrançois richtete ihm ein Lager im kleinen Saal, neben der Küche, so habe er wenigstens ein bisschen Zerstreuung.
Der Steuereinnehmer jedoch, der jeden Abend hier aß, beklagte sich bitter über diese Nachbarschaft. Also schaffte man Hippolyte ins Billardzimmer.
Hier lag er nun wimmernd unter schweren Decken, bleich, mit langem Bart, hohlen Augen, und manchmal drehte er den schweißnassen Kopf auf dem schmutzigen Kissen, umschwirrt von Fliegen. Madame Bovary kam zu Besuch. Sie brachte Tücher für seine Umschläge und tröstete ihn, ermutigte ihn. Auch sonst fehlte es nicht an Gesellschaft, vor allem an Markttagen, wenn die Bauern um ihn herum die Billardkugeln traktierten, mit den Queues fuchtelten, rauchten, tranken, sangen, grölten.
»Wie geht’s?« sagten sie und klopften ihm auf die Schulter. »Aha! du hast Schiss, hört man! bist selber schuld. Dieses musst du machen und jenes.«
Und man erzählte Geschichten von Leuten, die alle geheilt worden waren, aber durch andere Mittel als die bei ihm angewandten; dann setzten sie noch tröstend hinzu:
»Du lässt dich gehen! steh doch auf! du wirst verhätschelt wie ein König! Ach! was soll’s, alter Schelm, gut riechst du nicht.«
Der Wundbrand wucherte immer weiter. Bovary war selber ganz krank. Er kam stündlich, immerzu. Hippolyte beobachtete ihn aus schreckensweiten Augen und stammelte unter Schluchzern:
»Wann bin ich endlich geheilt? … Oh! Retten Sie mich! … Ich armer Hund! ich armer Hund!«
Und wenn der Arzt wieder ging, verordnete er jedesmal Schonkost.
»Hör nicht auf ihn, mein Junge«, tadelte Mutter Lefrançois; »die haben dich mehr als genug gequält! du wirst immer schwächer. Hier, iss!«
Und sie gab ihm gute Brühe, ein Scheibchen Lamm, ein Stückchen Speck und manchmal das eine oder andere Gläschen Schnaps, das er nicht zu trinken wagte.
Als Abbé Bournisien erfuhr, dass sein Zustand schlimmer wurde, wollte er ihn sehen. Zunächst bedauerte er ihn wegen seiner Leiden, verkündete aber sogleich, man müsse sich darüber freuen, denn es sei der Wille Gottes, und rasch die Gelegenheit nutzen, um mit dem Himmel ins reine zu kommen.
»Denn«, sagte der Geistliche in zuckersüßem Ton, »du hast deine Pflichten ein wenig vernachlässigt; man hat dich selten im Gottesdienst gesehen; seit wieviel Jahren warst du nicht mehr am Tisch des Herrn? Ich kann es verstehen, deine Beschäftigungen, das Getriebe der Welt haben dich abgehalten von der Sorge um dein Seelenheil. Nun aber ist es Zeit, daran zu denken. Verzweifle nicht; ich habe große Sünder gekannt, die, ehe sie vor Gott hintraten (soweit ist es noch nicht mit dir, das weiß ich wohl), sein Erbarmen anriefen und gewiss in bester Verfassung starben. Hoffen wir, du mögest uns, ganz so wie jene, ein gutes Beispiel geben! Was hindert dich, morgens und abends vorsorglich ein ›Gegrüßet seist du, Maria voll der Gnade‹ und ein ›Vater unser, der du bist im Himmel‹ zu beten? Ja, tu’s! für mich, mir zu Gefallen. Was kostet das schon? … Versprichst du es mir?«
Der arme Teufel versprach’s. Der Pfarrer kam auch an den folgenden Tagen. Er plauderte mit der Wirtin und erzählte sogar Anekdoten, untermischt mit Scherzen, mit Wortspielen, die Hippolyte nicht verstand. Und dann, sobald sich Gelegenheit bot, verfiel er auf religiöse Dinge und machte ein passendes Gesicht.
Sein Eifer schien Früchte zu tragen; denn schon bald bekundete der Strephopode seinen Wunsch, eine Wallfahrt nach Bon-Secours zu unternehmen, sollte er geheilt werden: worauf Monsieur Bournisien erwiderte, nichts spräche dagegen; zwei Vorsichtsmaßnahmen seien besser als eine. Es könne nichts schaden .
Der Pharmazeut empörte sich über das, was er die Umtriebe des Pfaffen nannte; sie wären Hippolytes Genesung abträglich, und immer wieder sagte er zu Madame Lefrançois:
»Lasst ihn zufrieden! lasst ihn zufrieden! ihr zerrüttet ihm das Gemüt mit eurem Mystizismus!«
Die gute Frau aber wollte nicht mehr auf ihn hören. Er war an allem schuld . Aus Widerspruchsgeist hängte sie übers Krankenbett sogar ein volles Weihwasserbecken samt Buchsbaumzweig.
Doch weder
Weitere Kostenlose Bücher