Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Federvieh. Und obendrein, werden Sie mir sagen, die Gewohnheit …, die Gewohnheit! …«
Ohne Rücksicht auf Hippolyte, unter seinen Betttüchern vor Angst schwitzend, begannen die Herren alsbald ein Gespräch, in dem der Pharmazeut die Kaltblütigkeit eines Chirurgen mit der eines Generals verglich; und diese Gegenüberstellung freute Canivet, der sich wortreich verbreitete über die Anforderungen seiner Kunst. Er betrachtete sie als heiliges Amt, obwohl die Sanitätsbeamten sie entehrten. Schließlich besann er sich wieder auf den Kranken, prüfte die von Homais mitgebrachten Binden, dieselben, die schon beim Klumpfuß aufgetaucht waren, und verlangte jemanden zum Festhalten der Gliedmaße. Man schickte nach Lestiboudois, und Monsieur Canivet, der sich die Ärmel hochgekrempelt hatte, ging ins Billardzimmer, während der Pharmazeut bei Artémise und der Wirtin blieb, alle zwei weißer als ihre Schürzen, und das Ohr an die Tür gepresst.
Bovary wagte sich währenddessen nicht aus dem Haus. Er saß unten in der Stube am kalten Kamin, das Kinn auf der Brust, die Hände gefaltet, der Blick starr. So ein Missgeschick, dachte er, so eine Enttäuschung! Er hatte doch alle nur denkbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Das Schicksal hatte sich eingemischt. Gleichviel! sollte Hippolyte sterben, später, dann hätte er ihn umgebracht. Und außerdem, was konnte er sagen bei seinen Krankenbesuchen, wenn man ihn fragte? Vielleicht hatte er doch irgendeinen Fehler gemacht? Er überlegte, fand nichts. Auch die berühmtesten Chirurgen machten Fehler. Aber genau das würde ihm keiner glauben! im Gegenteil, man würde lachen und lästern! Es würde sich herumsprechen bis nach Forges! bis nach Neufchâtel! bis nach Rouen! überall! Wer weiß, vielleicht würden Kollegen etwas gegen ihn schreiben? Eine Polemik war schnell entfacht, und er müsste in Zeitungen antworten. Hippolyte konnte ihn sogar verklagen. Er sah sich entehrt, ruiniert, verloren! Und seine von unzähligen Hypothesen bestürmte Phantasie schwankte zwischen ihnen wie ein leeres Fass, das hinaustreibt ins Meer und auf den Wogen tänzelt.
Emma, gegenüber, betrachtete ihn; sie nahm keinen Anteil an seiner Demütigung, sie litt unter einer ganz anderen: Warum hatte sie sich eingebildet, ein solcher Mann könne etwas taugen, als hätte sie nicht schon zwanzigmal seine Mittelmäßigkeit erlebt, bis zum Überdruss.
Charles ging im Zimmer hin und her. Seine Stiefel knarrten auf dem Holz.
»Setz dich«, sagte sie, »du machst mich verrückt!«
Er setzte sich.
Wie hatte sie es fertiggebracht (sie, die so gescheit war!), sich noch einmal zu täuschen? Aus welcher verhängnisvollen Sucht hatte sie ihr Leben in ständiger Aufopferung verpfuscht? Alles kam ihr wieder in den Sinn, ihre Gier nach Luxus, die Entbehrungen ihrer Seele, die Erbärmlichkeiten der Ehe, des Hausstands, ihre Träume, in den Schmutz gefallen wie verletzte Schwalben, alles, was sie ersehnt, alles, worauf sie verzichtet hatte, alles, was sie hätte erreichen können! und warum? warum?
Mitten in der Stille, die das Dorf erfüllte, drang ein gellender Schrei durch die Luft. Bovary wurde blass, nah einer Ohnmacht. Sie runzelte nervös die Stirn und grübelte weiter. Ja, alles nur seinetwegen, für dieses Wesen, diesen Mann, der nichts begriff, der nichts spürte! denn er stand da, seelenruhig, und ahnte nicht einmal, dass die Lächerlichkeit seines Namens sie fortan genauso beschmutzen würde wie ihn. Sie hatte sich Mühe gegeben, ihn zu lieben, und sie hatte unter Tränen bereut, dass sie einem anderen nachgegeben hatte.
»Vielleicht war es doch ein Valgus!« rief plötzlich Bovary, der sinnierte.
Beim unerwarteten Klang dieses Satzes, der auf ihre Gedanken prallte wie eine Bleikugel auf einen Silberteller, zuckte Emma zusammen und hob den Kopf, um zu erraten, was er meinte; und sie musterten sich stumm, fast erstaunt, jemanden zu sehen, so fern waren sie in ihrem Fühlen voneinander. Charles betrachtete sie mit den glasigen Augen eines Betrunkenen und lauschte zugleich, völlig reglos, den letzten Schreien des Amputierten, die in langgezogenen Modulationen aufeinanderfolgten, unterbrochen von schrillen Lauten, wie das ferne Heulen eines Tiers, das man absticht. Emma biss sich auf die bleichen Lippen, und während sie zwischen den Fingern ein Stückchen von dem Korallenstock drehte, das sie abgebrochen hatte, heftete sie auf Charles ihre flammenden, durchbohrenden Blicke, wie zwei feurige Pfeile, bereit
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