Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
wie die Stöße eines Rammbocks, trommelten immer wilder, in unregelmäßigem Rhythmus. Sie blickte verzweifelt um sich und wünschte, die Welt möge einstürzen. Warum machte sie nicht Schluss? Wer hielt sie noch? Sie war frei. Und sie beugte sich vornüber, sie schaute hinab aufs Pflaster und sagte sich:
»Na los! los!«
Der Lichtstrahl, der von unten gerade aufstieg, zog das Gewicht ihres Körpers zum Abgrund. Ihr schien, der schwankende Grund des Platzes schwebe an den Mauern empor, und der Holzboden neige sich gegen sein Ende wie ein stampfendes Schiff. Sie stand am äußersten Rand, fast in der Luft, umgeben von endloser Weite. Das Blau des Himmels durchflutete sie, die Luft strömte in ihren leeren Kopf, sie musste nur nachgeben, sich nehmen lassen; und in einem fort surrte die Drechselbank, wie eine Stimme, die nach ihr rief.
»Meine Frau! Wo ist meine Frau?« schrie Charles.
Sie wich zurück.
»Wo bist du? Komm!«
Der Gedanke, dass sie eben dem Tod entronnen war, ließ sie beinahe ohnmächtig werden vor Schreck; sie schloss die Augen; dann zuckte sie zusammen, als eine Hand ihren Ärmel berührte: es war Félicité.
»Monsieur wartet auf Sie, Madame; die Suppe ist serviert.«
Und sie musste hinuntergehen! musste sich an den Tisch setzen!
Sie versuchte zu essen. Jeder Bissen drohte sie zu ersticken. Also faltete sie ihre Serviette auseinander, wie um die gestopften Stellen zu prüfen, und wollte sich tatsächlich auf diese Arbeit konzentrieren, die Fäden des Gewebes zählen. Plötzlich kam ihr der Brief in den Sinn. Hatte sie ihn verloren? Wo mochte er sein? Doch ihr Geist war so erschöpft, dass ihr nicht der kleinste Vorwand einfiel, um vom Tisch aufzustehen. Überdies war sie feige geworden; sie hatte Angst vor Charles; er wusste alles, das war sicher! Und wirklich sagte er nun ganz seltsam:
»Wir sehen Monsieur Rodolphe, wie’s scheint, so bald nicht wieder.«
»Wer hat dir das gesagt?« rief sie zusammenzuckend.
»Wer mir das gesagt hat?« erwiderte er, ein wenig verwundert über diesen barschen Ton; »Girard, den habe ich vorhin am Eingang des Café Français getroffen. Er ist verreist oder will verreisen.«
Ihr entfuhr ein Schluchzer.
»Warum überrascht dich das? Er fährt von Zeit zu Zeit weg, um sich zu zerstreuen, und weiß Gott! ich gebe ihm recht. Wenn man vermögend ist und Junggeselle! … Im übrigen amüsiert er sich ganz schön, unser Freund! der ist ein Schlawiner. Monsieur Langlois hat mir erzählt …«
Er verstummte, anstandshalber, wegen der eintretenden Dienerin.
Sie legte die auf der Etagere verstreuten Aprikosen zurück in das Körbchen; Charles, dem die Röte seiner Frau nicht auffiel, verlangte danach, nahm eine und biss hinein.
»Oh! vorzüglich!« sagte er. »Hier, koste.«
Und er hielt ihr das Körbchen hin, das sie behutsam wegschob.
»Riech nur: dieser Duft!« sagte er und schwenkte es vor ihrer Nase hin und her.
»Ich ersticke!« schrie sie und sprang auf.
Durch äußerste Willensanstrengung löste sich der Krampf; dann:
»Es ist nicht schlimm!« sagte sie, »es ist nicht schlimm! das sind nur die Nerven! Setz dich und iss!«
Denn sie fürchtete, man werde sie ausfragen, umhegen, nicht mehr allein lassen.
Charles gehorchte, setzte sich wieder und spuckte die Aprikosenkerne in die Hand, bevor er sie auf den Teller legte.
Plötzlich ratterte ein blauer Tilbury in hartem Trab über den Platz. Emma stieß einen Schrei aus und fiel rücklings zu Boden, steif wie ein Stock.
Tatsächlich hatte sich Rodolphe nach langen Überlegungen für Rouen entschieden. Da es aber von La Huchette nach Buchy keinen anderen Weg gibt als den über Yonville, musste er durchs Dorf fahren, und so erkannte ihn Emma im Schein der Laternen, der die Abenddämmerung durchschnitt wie ein Blitz.
Bei dem Tumult, der aus dem Hause drang, kam der Apotheker gerannt. Der Tisch mitsamt allen Tellern war umgestürzt; Sauce, Fleisch, Messer, Salzstreuer und Ölflasche lagen im ganzen Raum verstreut; Charles rief um Hilfe; Berthe schrie verängstigt; und Félicité, deren Hände zitterten, lockerte das Korsett von Madame, die am ganzen Körper krampfartig zuckte.
»Ich eile«, sagte der Pharmazeut, »und hole aus meinem Laboratorium ein wenig aromatischen Essig.«
Dann, als sie beim Geruch des Flakons die Augen wieder aufschlug:
»Ich wusste es«, sagte er; »das würde auch einen Toten erwecken.«
»Sag etwas!« bettelte Charles, »sag etwas! Komm zu dir! Ich bin’s, dein Charles,
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