Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
drängend wie Geschäftsmitteilungen. Er wollte sich die längeren noch einmal anschauen, die von einst; um sie von ganz unten aus der Dose herauszufischen, warf Rodolphe alle übrigen durcheinander; und automatisch begann er in diesem Haufen Papier und Kram zu wühlen, stieß dabei auf Blumensträußchen, ein Strumpfband, eine schwarze Maske, Spangen und Haare – ja, Haare! brünette, blonde; einige verfingen sich in den Scharnieren der Dose, zerrissen gar beim Öffnen.
Während er durch seine Erinnerungen streifte, besah er Schrift und Stil dieser Briefe, so mannigfaltig wie ihre Orthographie. Sie waren zärtlich oder verspielt, witzig, melancholisch; manche von ihnen baten um Liebe, und andere baten um Geld. Ein Wort rief Gesichter wach, Gesten, den Klang einer Stimme; doch mitunter wurde gar nichts in ihm wachgerufen.
Diese Frauen nämlich, die alle auf einmal in seinen Kopf drängten, behinderten und verkleinerten einander, wie unter einem Einheitsmaß der Liebe, das sie gleichmachte. Also nahm er einen Packen kunterbunt vermischter Briefe und amüsierte sich eine Weile, sie schwungvoll von der rechten Hand in die linke zu schnippen. Am Ende, gelangweilt und schläfrig, trug Rodolphe die Dose zurück in den Schrank und sagte sich:
»So ein Haufen Blödsinn! …«
Womit er seine Meinung zusammenfasste; die Vergnügungen, wie Schüler im Schulhof, hatten derart herumgetrampelt auf seinem Herzen, dass nichts Grünes mehr spross, und was zufällig hier vorüberkam, gedankenloser als Kinder, hinterließ nicht einmal, wie diese es tun, einen Namen, eingeritzt in die Mauer.
»Na los«, sagte er sich, »an die Arbeit!«
Er schrieb:
»Seien Sie tapfer, Emma! tapfer! Ich will Sie nicht ins Unglück stürzen …«
»Übrigens stimmt das auch«, dachte Rodolphe; »ich handle zu ihrem Besten; ich bin ein Ehrenmann.«
»Haben Sie Ihren Entschluss sorgfältig erwogen? Ist Ihnen bewusst, in welchen Abgrund ich Sie zu reißen drohte, armer Engel? Nein, nicht wahr? Sie stürmten vertrauensvoll und blindlings drauflos, im Glauben an das Glück, an die Zukunft … Ach! was sind wir für Unglücksvögel! Wahnsinnige!«
Rodolphe hielt inne, jetzt brauchte er irgendeine gute Ausrede.
»Wenn ich ihr sage, ich hätte mein ganzes Vermögen eingebüßt? … Ach! nein, und außerdem würde das nichts ändern. Ich müsste später nochmal von vorne anfangen. Kann man solche Frauen zur Vernunft bringen!«
Er überlegte, dann schrieb er weiter:
»Ich werde Sie nicht vergessen, glauben Sie mir, und ich werde Ihnen stets in tiefer Ergebenheit zugetan sein; doch eines Tages, früher oder später, wäre diese Glut (so ist nun mal das Geschick der menschlichen Dinge) wohl abgekühlt! In uns wäre Überdruss aufgekommen, und wer weiß, vielleicht hätte ich sogar den grässlichen Schmerz erdulden müssen, Ihre Gewissensqualen mit anzusehen und diese zu teilen, denn ich hätte sie ja verschuldet. Allein der Gedanke an den Kummer, der über Sie hereinbricht, martert mich, Emma! Vergessen Sie mich! Warum musste ich Ihnen begegnen? Warum waren Sie so schön? Ist es meine Schuld? O mein Gott! nein, nein, klagen Sie nur eines an: das Schicksal!«
»Das Wort macht immer Eindruck«, sagte er sich.
»Ach, wären Sie eine jener Frauen mit frivolem Herzen gewesen, wie es sie natürlich gibt, dann hätte ich aus Egoismus einen Versuch wagen können, völlig gefahrlos für Sie. Aber diese köstliche Schwärmerei, welche Sie bezaubernd macht und zugleich peinigt, hat Sie daran gehindert, o anbetungswürdige Frau, die Falschheit unserer zukünftigen Lage zu begreifen. Auch mir war das zu Anfang nicht klar, und ich ruhte im Schatten dieses idealen Glücks wie im Schatten des Manzanillobaums und dachte nicht an die Folgen.«
»Sie wird vielleicht glauben, ich mache den Rückzieher aus Geiz … Ach! einerlei! was soll’s, Schluss jetzt!«
»Die Welt ist grausam, Emma. Überall, wo auch immer, wäre sie uns auf den Fersen gewesen. Sie hätten aufdringliche Fragen erdulden müssen, üble Nachrede, Verachtung, Schmach vielleicht. Schmach, Ihnen! Oh! … Und ich, der Sie auf einen Thron heben möchte! ich, der Ihr Angedenken mit sich fortträgt wie einen Talisman! Denn ich strafe mich durch Verbannung für allen Schmerz, den ich Ihnen angetan. Ich gehe. Wohin? Ich weiß es nicht, ich bin nicht mehr bei Sinnen! Leben Sie wohl! Bleiben Sie auch weiterhin gut! Behalten Sie den Unglücklichen in Erinnerung, der Sie verlor. Sagen Sie Ihrem Kind meinen
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