Madame Butterflys Schatten
dünn und drahtig in seiner Uniform. Sie erkennt Wundmale, Zeichen der Unvollkommenheit: Sie stellt fest, dass sein Gesicht nicht länger so glatt ist wie ein geschältes Ei; um seine Augen haben sich Fältchen gebildet, hier und da zeugt eine Narbe von den wahllos zugefügten Verletzungen und Wunden des Krieges.
Sie hat die offizielle Heimkehr in der Wochenschau im Kino gesehen: Musikkapellen und flatternde Fahnen, der Präsident, wie er in Washington im Regen steht und die jungen Männer als Helden zu Hause willkommen heißt, wobei Nancy sich wünscht, es wäre nicht Truman, sondern Roosevelt, ihr gestürztes ehemaliges Idol, der Jungen wie diese – ganze Familien – in einer Zeit der Paranoia hinter Stacheldrahtzäunen eingesperrt hat. Das hätte der Situation zu Recht etwas Ironisches verliehen.
Aber jetzt ist es vorbei, und er steht vor ihr mit seiner Einheit, aus der so wenige überlebt haben; so viele Kameraden sind gefallen, amerikanisch-japanische Knochen, gesät auf fremden Schlachtfeldern, auf denen Tod und Sieg geerntet wurden. Eine dezimierte Einheit, bestehend aus dem 100. Bataillon und dem 442. Infanterieregiment, mit Auszeichnungen überhäuft, umbenannt, jetzt das Purple-Heart-Bataillon, doch sie kann in seinem Gesicht keinen Stolz entdecken, nur abgrundtiefe Müdigkeit.
Er streckt die Arme aus, und sie umarmen sich lachend, wie es Menschen tun, wenn Worte unzulänglich erscheinen. Nancy muss sich auf die Zehenspitzen stellen und den Hals recken, um sein Gesicht zu erreichen, und während sie ihn an sich drückt, streift sie die Erinnerung an einen anderen Moment, seine um ihren Hals geschlungenen Arme, einen kleinen Körper, der sich an sie klammert – »Das ist meine Mom!« Einen Moment steht die Zeit still.
Dann lässt er sie grinsend los. »Hi, Nance.« So hat Ben sie genannt. Sie muss aufhören, ihn als Kind zu betrachten.
Sie erinnert sich an einen Satz, den sie oft in der Kirche gehört hat. »Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämen, und wer viel lernt, der muss viel leiden.« Sie haben beide an Weisheit gewonnen, und sie erkennt in Joeys Gesicht den Verlust der Unschuld.
Und auch Joe erkennt in dem Gesicht, das sie ihm entgegenreckt, den Kummer, der mit Weisheit einhergeht.
Als sie in ihre Straße einbogen, blieb er auf dem Bürgersteig stehen und betrachtete das alte Haus von Louis und Mary, ließ seinen Blick darüberwandern, lächelnd, überrascht. In seiner Abwesenheit schien es einen erfreulich altmodischen Charme entwickelt zu haben.
Ein Paar mittleren Alters winkte Nancy im Vorbeigehen von der anderen Straßenseite zu, und sie winkte zurück, rief ihnen zu, das sei ihr Sohn, Joey, gerade aus dem Krieg in Europa heimgekehrt. Die Frau lächelte, und der Mann lüpfte seinen Hut, bemerkte den Orden an Joes Brust und rief zurück, die Jungs hätten sich großartig geschlagen.
»Wir sind stolz auf euch, Junge. Willkommen zu Hause.«
Joe ging vor Nancy die Treppe hinauf – die fünfte Stufe gab noch immer dieses Knarzen von sich, das wie das Krächzen eines Papageis klang, die Maserung des Geländers unter seinen Fingerspitzen fühlte sich noch genauso an, wie er es in Erinnerung hatte. Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer: nirgends ein Stäubchen, dafür der Geruch von Möbelpolitur und Lavendel, alles an seinem Platz, das Bett mit frisch gebügelten weißen Laken bezogen. Er spürte ein Stechen in der Brust, ein ungewohntes Brennen in den Augen.
»Du hast überhaupt nichts verändert.«
Er warf seine Tasche aufs Bett und sah sich um.
»Komisch, ich hatte es kleiner in Erinnerung. Ich habe manchmal ziemlich beengt geschlafen, seit ich hier weg bin.«
Er streckte sich auf dem Bett aus und wiederholte verwundert: »Es hat sich überhaupt nichts verändert.«
»Du hast dich verändert«, erwiderte sie.
»Ja? Na ja, das liegt wahrscheinlich an Frankreich.«
Sie erinnerte sich daran, dass sie sich umarmt hatten, bevor er in das Internierungslager gebracht wurde, dass er ihr zum Abschied kurz über die Wange gestrichen hatte; seine Finger waren weich gewesen, seine Hand die eines Jungen, der seine Tage in einem Klassenzimmer oder draußen in der Sonne verbrachte, saubere Nägel, die Haut leicht gebräunt, ein zarter goldener Flaum auf dem Handrücken. Die Hand, die sie jetzt in der ihren hielt, fühlte sich hart an, sie schien größer zu sein, die Nägel waren eingerissen, die Haut rau. Dort, wo ein Schrapnell das Fleisch aufgerissen hatte, zog sich wie eine unsauber
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