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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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hatte in einem Feldlazarett gelegen, als Joe das letzte Mal etwas von ihm gehört hatte.
    Die Männer tauschten sarkastische Witze aus, während sie Wasser tranken oder auf einem weichen Schokoladenriegel kauten, und versuchten herauszufinden, was im Augenblick als »Heimatschuss« anerkannt wurde, eine Verwundung, die schlimm genug war, um von der Front erlöst zu werden.
    »Wie wär’s mit dem Tod?«
    »Ist vielleicht gar nicht so übel. Wenn du tot bist, können sie dir jedenfalls nicht mehr befehlen, weiter vorzurücken.«
    Aber den Goldtressen fiel immer wieder etwas ein, was selbst den schwärzesten Humor übertraf. Mit mühsam aufgebrachter Aufmerksamkeit vernahmen die Männer die Botschaft: Ein Bataillon der Texas Guards war in einem Wald ungefähr fünfzehn Kilometer östlich ohne Proviant und Wasser von den Deutschen eingekesselt.
    Die Worte des Generals wurden verlesen, laut und deutlich.
    »Die beiden bisherigen Rettungsversuche sind fehlgeschlagen.« Dann folgte die Pointe.
    Das Bataillon sollte befreit werden, »koste es, was es wolle«.
    Koste es, was es wolle?
    »Wenn die Spartaner einem Soldaten einen Schild gaben, dann war das mit dem Befehl verbunden, damit oder darauf zurückzukommen«, sagte Otishi.
    Joe sah sich um. »Keine Schilde.«
    »Gleicher Befehl.«
    Es kostete sie fünf Tage und achthundert Kameraden, um zweihundertelf Mann zu retten.
    Die Deutschen hatten sich verschanzt, lagen in Deckung, warteten. Joes Einheit schlug sich einen Weg durchs Unterholz, dicht wie ein Urwald, eingehüllt in gelben Nebel und Maschinengewehrfeuer. Meter für Meter schoben sie sich vorwärts, robbten bäuchlings durch den Schlamm. Beim Überqueren einer Hügelkuppe waren sie einen kurzen Moment ohne Deckung, und sofort schlugen um sie herum Mörsergranaten ein; von der Gewalt der Explosion wurde Joe durch die Luft geschleudert. Er rollte über den Abhang, griff haltsuchend nach aus dem Boden ragenden Wurzeln, Unterholz. Als sich der Rauch verzog, sah er weiter oben eine verrenkte Gestalt in einer blutdurchtränkten Uniform liegen. Er kroch näher, das Mantra der Front auf den Lippen: »Alles wird gut, Junge, alles wird gut.« Er beugte sich über den Verwundeten, um ihn aus der Schusslinie zu ziehen, dabei fiel sein Blick auf das schlammverkrustete Gesicht, und er erkannte Otishi.
    Halt durch, Junge, alles wird gut, halt durch! Er schirmt den zerschmetterten Körper mit seinem eigenen ab und schreit nach einer Trage.
    Dann versucht er, den blutüberströmten Körper aufzuheben – o Gott, o mein Gott –, Otishis Helm verschiebt sich, und Gehirnmasse läuft über sein Gesicht und über Joes Hände.

Kapitel 52
    VOR DEM KRIEG hatte Cho-Cho jungen Frauen gut zugeredet und sie gedrängt, aus ihrer Unsichtbarkeit herauszutreten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ihr war klar, dass die Frauen sehnsüchtig auf die Zeit der Untätigkeit zurückschauten, wenn sie jetzt in Kohlebergwerken, Stahlhütten und Fabriken schufteten, um einen Beitrag zum Krieg zu leisten.
    Auch sie und Suzuki fanden Trost darin, auf die Tage zurückzublicken, in denen Cho-Cho und Henry unbeschwert über Traditionen und die Rechte von Frauen debattiert hatten, auf ein behagliches Leben im Bewusstsein gegenseitiger Zuneigung, selbst wenn Suzuki dabei mehr gegeben als empfangen hatte. Jetzt waren sie gleichgestellt, zwei auf verschiedene Weise alleingelassene Frauen, die sich Hände und Füße an einem winzigen Kohlebecken wärmten.
    In Nagasaki hatten sie bisher Glück gehabt. Während andere Städte, große und kleine, zerbombt und niedergebrannt worden waren, waren sie praktisch verschont geblieben, ein kürzlich erfolgter Angriff auf die Werften und die Mitsubishi-Werke hatte allerdings Angst ausgelöst: Mehrere Bomben hatten das Krankenhaus und die medizinische Fakultät getroffen.
    Einige Tage später erklomm Suzuki den steilen Weg zu Cho-Chos Haus: Die Eltern waren in Sorge, es könnten weitere Angriffe folgen; man hatte begonnen, die Kinder zu evakuieren. »Nur für alle Fälle. Sie bilden Gruppen. Ich nehme die Mädchen mit. Komm mit uns.«
    »Ich bleibe lieber hier.«
    Cho-Chos kleines Haus aus Holz und Papier stand auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens, etwas weiter entfernt von den Kais, und vor langer Zeit hatte sie einen Keller graben lassen. Sie versprach, ihn zu benutzen. Falls die Flugzeuge kämen, wäre sie in ihrem Keller sicher.
    Sie befanden sich in einem merkwürdigen Wartezustand: Möglicherweise standen

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