Madame Butterflys Schatten
über einen Umweg die Verbindung zu ihrem Kind aufrechterhalten hatten. Nach Henrys Tod war Oregon wie eine schwimmende Insel davongetrieben, bekam etwas Unwirkliches. Sie hatte einen kurzen Brief von der amerikanischen Frau erhalten, der blonden Ehefrau, Witwe, Stiefmutter. Sie machte einen freundlichen Eindruck, und Cho-Cho hatte ihr geantwortet, doch dann passierte das mit Pearl Harbor, und alle Nachrichten verschwanden in einem schwarzen Loch – zumindest alle persönlichen Nachrichten. Öffentliche gab es mehr als genug: In offiziellen Verlautbarungen im Radio wurden die Siege der kaiserlichen Armee bejubelt und die Bevölkerung aufgefordert, sich noch mehr anzustrengen, noch mehr Opfer zum Ruhm des Kaisers zu bringen. Außerdem gab es ausführliche Berichte über die furchtbaren Verluste der Amerikaner, und auch wenn Cho-Cho wusste, dass Amerika weit weg vom Kriegsgeschehen war, so wusste sie doch, dass Armeen junge Männer vom Land und aus friedlichen Städten verschluckten und auf dem Schlachtfeld wieder ausspuckten. Sie ertappte sich dabei, dass sie zum Gott der Methodisten und zu den shintoistischen kami betete, ohne rechtes Vertrauen in das eine oder das andere zu setzen.
Sie gab wieder Unterricht, brachte Kindern etwas bei, führte Aufsicht bei Luftschutzübungen, sie war eine shis ō , schlug sich in der Welt der Männer durch, aber in der Welt der Männer wartete der Tod: Ein Junge war nur bis zu einem bestimmten Geburtstag sicher, dann rief das Militär. Cho-Cho gehörte jetzt einer freudlosen Schwesternschaft von Frauen an, deren Söhne im richtigen Alter waren, um ihren Platz in der Schusslinie einzunehmen.
Sie wusste, wie ein amerikanischer Soldat aussah, Stahlhelm, Gewehr und Bajonett, die zähnefletschende Karikatur auf den Propagandaplakaten. Aber sie hatte nicht gelernt, den Feind zu hassen: Hinter dem Gewehr, unter dem Helm sah sie ein Kind mit blauen Augen. Sie sagte sich, dass er als amerikanischer Soldat sicherer war, aus Henrys Büchern wusste sie, welch hohen Wert ein Menschenleben im Westen hatte, die amerikanische Armee würde für ihre Männer sorgen. Ein japanischer Soldat existierte nicht als Individuum, er war lediglich Teil des patriotischen Plans. Doch das Schicksal eines jeden Soldaten befand sich in einem empfindlichen Gleichgewicht: Tod oder Leben, die Entscheidung lag nicht bei ihm.
Wohin würde man ihn schicken, damit er dem Krieg ins Angesicht blickte? Wenn er überlebte, würde sie dann eines Tages sehen, wie er den Weg vom Hafen heraufkam, golden und amerikanisch wie sein Vater?
Kapitel 51
IN GÜTERWAGGONS WURDE das Regiment von Ort zu Ort verfrachtet, reines Kanonenfutter, jeden Tag trafen neue Rekruten ein, um den Platz der Toten einzunehmen. Nisei-GIs hatten keine lange Lebensdauer.
Joe versuchte, sich die Gefechtslinien der Alliierten vorzustellen, die sich über den Stiefelschaft Italiens zogen, die eine in Richtung Osten, auf Triest zu, während sie selbst in nordwestlicher Richtung vorrückten. Ständig ging es bergauf, sie krochen durch eine Landschaft, die wie eine unendlich hohe Felswand vor ihnen aufragte, und schleppten sich durch Frankreich. Hoch über einem Fluss, auf der Kuppe eines steilen Hügels, hörten sie von einem Dorf namens La Bruyère.
Karten waren Zeitmesser, stellte er fest.
Sie brauchten drei Tage, um den Fluss zu überqueren, den Hügel zu erstürmen und La Bruyère einzunehmen, Straße für Straße, Haus für Haus, Zimmer für Zimmer. Türen mit Sprengfallen, Heckenschützen, Minen, der Rauch und das Pfeifen von Mörsern, das Dröhnen von Geschützfeuer. Männer fielen, während sie vorrückten, einen Meter an Boden gewannen, wieder verloren, zurückgewannen … Wenn sie bei Einbruch der Nacht erschöpft zu Boden sanken, sah Joe, wie viele Männer sie eingebüßt hatten; einige davon waren Freunde geworden, als er Seite an Seite mit ihnen neben gefallenen Deutschen im Dreck gelegen hatte, die Uniformen ununterscheidbar, lehmverkrustet, dunkel von Blut.
Sie brauchten eine Woche, um sich den Weg bis zur Hügelkuppe zu erkämpfen, den Punkt auf der Karte in Besitz zu nehmen, der einst ein Dorf gewesen war und jetzt ein Ruinenfeld.
Die humpelnden Überlebenden des zusammengelegten 100. Ba taillons und 442. Infanterieregiments saßen zusammengesunken auf dem Boden und gönnten sich eine Atempause. Die Barackengenossen aus Tule Lake waren in alle Winde zerstreut: Kazuo war möglicherweise in einem Schützengraben zurückgeblieben, Ichir ō
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