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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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immer wieder darüber nachgedacht, warum ausgerechnet sein Bataillon ausgewählt worden war, in Frankreich die eingekesselten Texaner zu befreien.
    »Zuerst dachte ich, vielleicht haben sie uns ja losgeschickt, weil sie wussten, dass wir uns von nichts und niemandem aufhalten lassen würden. Sie haben auf diesen banzai -Blödsinn gesetzt. Aber inzwischen glaube ich, sie haben uns losgeschickt, weil es ja bloß Japaner gewesen wären, die ins Gras gebissen hätten, wenn es schiefgegangen wäre, also was soll’s …«
    In seinem Kopf pochte es, sein Mund war wie ausgetrocknet. Er goss sich ein Glas Wasser ein und stürzte es hinunter. Dann stellte er das leere Glas ab und sah sich in der Küche um, als mache er eine Bestandsaufnahme, berührte eine Tasse, eine Pfanne, alltägliche Gegenstände, die die Sicherheit des Vertrauten boten. Eine Gabel war eine Gabel, diese Dinge änderten sich nicht.
    »Ich wusste nicht, dass ich Japaner bin, bevor Roosevelt es mir gesagt hat. Aber in Italien habe ich gemerkt, dass es keine Rolle spielt: Wir waren alle nur GIs, einer wie der andere, es gab keinen Unterschied zwischen ›die‹ und ›wir‹. Wir waren Teil des Ganzen.«
    »Ihr seid Helden.«
    »Aber in dem Laden an der Ecke werden wir nicht bedient. Pfeif auf die Purple Hearts. Was ist ein Held? Jemand, der ins Gefecht zieht, auch wenn er weiß, dass er darin umkommt? Ist das nicht irgendwie ein bisschen japanisch? Ein bisschen kamikaze? «
    »Nein«, sagte sie. »Das ist Mut. Mach dich nicht selbst schlecht.«
    Sie sah ihm dabei zu, wie er sich unter fließendem Wasser die Hände wusch, so fest schrubbte, als wolle er die Haut abreiben. Er griff nach einem Küchenmesser, hielt die scharfe Spitze gegen seine Hand und drückte so lange, bis Blut hervorquoll. Dann warf er das Messer auf die Arbeitsfläche und ließ kaltes Wasser über seine Hand laufen, von der es rot ins Spülbecken rann.
    »Es zerreißt mich innerlich, Nance, ich habe das Gefühl, zerteilt zu werden. Es gab einmal eine Zeit, in der man Verräter ausweidete, hängte, streckte und vierteilte, Pferde zerrten ihre Gliedmaßen in alle Himmelsrichtungen …
    Ich bin Amerikaner, richtig? Ich bin aber auch einer von denen, die im Eisenwarenladen weiter unten in der Straße nicht bedient werden, für meinesgleichen gibt es keine Zimmer in den Pensionen mit dem Schild im Fenster.«
    Er öffnete den Kühlschrank. Das hell erleuchtete Innere war mit Lebensmitteln gefüllt: Fleisch, Tomaten, Brot, einem Glas Marmelade, Erdnussbutter. Ein Sortiment des Überflusses.
    Gedankenverloren machte er die Tür ein paarmal hintereinander auf und zu.
    »Erinnerst du dich, dass ich als Kind immer wissen wollte, ob das Licht ausgeht, wenn man die Kühlschranktür zumacht? Du hast gesagt, ja, es geht aus, aber ich war mir nie ganz sicher. Die Leute lächeln dich an, aber vielleicht schalten sie ihr Lächeln ab, sobald sie die Tür schließen … man kann nie wissen.
    Ich hätte mich niemals freiwillig melden dürfen. Was soll dieses Gefasel von Patriotismus? Ich hätte in Tule Lake bleiben sollen, hinter dem Stacheldraht. Wo Ausländer hingehören. Einige meiner Kameraden aus dem Bataillon, die schon früher nach Hause zurückkehrten, konnten ihre Familien erst mal gar nicht sehen, und weißt du auch, warum? Weil ihre Eltern noch gefangen gehalten wurden.«
    In der darauffolgenden Stille lauschte er dem Geräusch eines vorbeifahrenden Autos, dem Surren der Reifen auf dem nassen Asphalt.
    Bisher hatten sie nicht über Cho-Cho gesprochen, waren dem Thema ausgewichen, als wollten sie nicht an eine offene Wunde rühren. Jetzt suchte er nach Worten.
    »Nagasaki«, setzte er an.
    Als die Truppen von Hiroshima erfuhren, hatten sie es zuerst nicht begriffen.
    Eine Bombe. Eine Bombe? Sie hatten Tausende davon über Tokio abgeworfen. Dann wurde langsam klar, dass es sich nicht einfach um eine Bombe handelte, sondern um eine Waffe, wie es sie noch nie gegeben hatte. Man präsentierte beschwichtigende Statistiken: Es war die Rede von niedergebrannten Fabriken und Stahlwerken, von zerstörten Eisenbahnstrecken, von der Vernichtung der feindlichen Kriegsmaschinerie.
    Drei Tage später ließ die Bombe mit dem Spitznamen Fat Man ihren stählernen Bauch über Nagasaki platzen. Eine Plutoniumbombe. Erneut war in den offiziellen Verlautbarungen die Rede davon, dass Fabriken zerstört worden waren, die Mitsubishi-Stahlwerke dem Erdboden gleichgemacht. Die Truppen verfolgten über den Armeesender Trumans

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