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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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ihrem Blick, und er wandte sich sofort wieder dem Spiel zu, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen, das unweigerlich schmerzvoll sein würde. In dieser Situation erschien das Natürlichste von der Welt unnatürlich.
    »Pinkerton« – sie hatte ihn noch nie Ben genannt –, »ich bereite dir eine Erfrischung zu.« Ein beruhigendes Lächeln: »Keine Teezeremonie!«
    Es überraschte ihn, wie gut sie Englisch sprach, offenbar hatte sie Unterricht genommen. Und ihm war klar, was sie ihm in Wahrheit sagen wollte: »Wir müssen miteinander reden«, aber das würde sie nie aussprechen, es wäre zu direkt, zu unverblümt, in Japan machte man so etwas nicht.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
    Suzuki kehrte mit einem in feines dunkelrotes Papier eingewickelten Päckchen zurück, das Pinkerton mit schwungvoller Geste dem Jungen überreichte.
    »Hier, für dich, Joey. Eine Überraschung!«
    Der Junge, der noch nie ein Geschenk bekommen hatte, umschloss das raschelnde runde Päckchen mit den Händen, drehte es hin und her, strich über das Papier. Ungeduldig zerriss Pinkerton die Umhüllung, und zum Vorschein kam ein Holzkreisel mit roten und gelben Streifen.
    »Komo!«, rief der Junge und klatschte in die Hände.
    »Bedanke dich bei ot ō -san für das Geschenk.«
    » Arigatou gozaimasu «, sagte er gehorsam. »Danke, ot ō -san .«
    Suzuki musterte die drei einen Moment, auf den ersten Blick wirkten sie wie eine Familie beim gemeinsamen Spiel, doch sie sah auch, wie Cho-Cho die Hände im Schoss ineinanderschlang; sie sah die Schweißperlen auf Pinkertons Stirn, obwohl es ein kühler Tag war. Mit einer Verbeugung zog sie sich zurück und rannte den Hügel hinunter zur Fabrik.
    Auf der geflochtenen Reisstrohmatte ließ sich der Kreisel nicht drehen. Deshalb streckte Pinkerton die Hand nach dem niedrigen Tischchen aus und ließ ihn auf dem glänzenden Lack tanzen. Wie durch Zauberhand schienen die aufgemalten roten und gelben Streifen über der herumwirbelnden Scheibe auf und ab zu schweben. Immer wieder nahm das Kind den Kreisel und hielt ihn seinem Vater hin …
    »Noch mal!«
    Erneut ließ er ihn wirbeln.
    »Motto!«
    Erneut ein vergeblicher Versuch, die schwebenden Ringe zu fangen.
    Pinkerton fuhr dem Jungen lächelnd durch die blonden Locken. Dann erhob er sich.
    »Ich muss zurück aufs Schiff.«
    Er fühlte sich unbehaglich. Sie wartete darauf, dass er sie an sich zog und in die Arme nahm, das wusste er. Stattdessen hob er Joey hoch und küsste ihn herzhaft auf beide Wangen, dann reichte er ihn an seine Mutter weiter, sodass der Junge zwischen ihnen eine Umarmung unmöglich machte. Er warf Cho-Cho einen raschen, verlegenen Blick zu und sah auf seine Uhr.
    »Ich sollte jetzt besser gehen. Wir sehen uns morgen.« Er kniff dem Jungen in die Wange. »Bis bald, Kleiner!« Dann fiel ihm das Wort wieder ein: »Sayonara!«
    Pinkerton hatte Mühe, seine Schuhe anzuziehen, Hände und Füße wollten ihm nicht gehorchen. Hastig verließ er das Haus, spürte Cho-Chos Blick auf sich ruhen, während er, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Hügel hinuntereilte. Ihm war heiß in seiner weißen Uniform, der Schweiß rann ihm über den Rücken, sammelte sich in seinen Achselhöhlen. Er nahm seine Mütze ab und wischte sich über die Stirn, in seinem Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander wie Bienen in einem Bienenstock.
    Vom Haus aus sah sie, wie er die Mütze abnahm, sah, wie seine Haare in der Sonne glänzten, die goldenen Haare ihres goldenen Ehemannes, der sie kein einziges Mal berührt hatte, seit er zurückgekommen war.

Kapitel 8
    AN EINER DER Marktbuden hatte Pinkerton einen Holzschnitt mit einem Drachen gesehen, der in einer Falle saß und sich verzweifelt wand. Als er jetzt durch die Straßen von Nagasaki lief und seine Gedanken bald in die eine, bald in die andere Richtung schossen, befand er sich in einem ähnlichen Zustand der Panik und der Verzweiflung.
    Erstens: Er hatte einen Sohn. Zweitens: Die Mutter war Japanerin. Drittens: Er musste an seine militärische Laufbahn denken. Viertens: Er war verlobt. Bei einem anderen Mann hätte diese Reihenfolge vielleicht etwas anders ausgesehen. Ein ums andere Mal rekapitulierte er seine Lage, ein in einer Grube gefangener Drache, eine in einem Labyrinth gefangene Ratte: ein Sohn, eine Frau, die er schon fast vergessen hatte, eine Verlobte …
    Ohne darüber nachzudenken, hatte er den Weg zum Büro des Konsuls eingeschlagen, vielleicht um sich seinen Rat zu holen, doch in

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