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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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Ich weiß, dass es zu viel von dir verlangt wäre. Aber – können wir nicht wenigstens darüber reden? Bitte!«
    Sharpless hatte nach einer Weile das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er griff nach einer zierlichen Tasse mit kalt gewordenem Tee und trank sie aus. Nancy schien zu zögern. Sollte er etwas sagen? Ihre Entscheidung stand auf Messers Schneide, und er konnte sie in die eine oder die andere Richtung lenken. Die Frage war nur, in welche?
    Er war nicht Salomon, er wollte nicht in eine Sache hineingezogen werden, die nur mit Tränen enden konnte. Pinkerton stand mit dem Rücken zur Wand und versuchte gezwungenermaßen herauszufinden, was in dieser Situation das Richtige war. Cho-Cho hüllte sich weiterhin in einen schützenden Mantel aus Hoffnung und Illusion, der sie davon abhielt, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Eines Tages, so wiederholte sie beharrlich, eines schönen Tages, wenn die Schwalben zurückkehrten, würde auch ihr Ehemann wiederkommen. Er war wiedergekommen, aber nicht als ihr Ehemann, und sein Treuebruch fiel wie ein schwarzer Schatten über diesen strahlenden Tag.
    Aber er eilte den Dingen voraus: Schließlich waren drei Personen an der Sache beteiligt, und die dritte wurde soeben mit Umständen konfrontiert, die sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorgestellt hätte.
    Er hätte mit allem gerechnet, vom Weinkrampf bis zum Wutanfall, doch als Nancy nach langem Schweigen schließlich das Wort ergriff, wirkte sie merkwürdig ruhig, und im ersten Moment schien es so, als wolle sie das Thema wechseln.
    »Auf dem Schiff hat man uns gesagt, dass es hier eine berühmte Kirche gibt, eine alte Holzkirche.«
    »Du meinst wahrscheinlich die Oura-Kirche«, sagte Sharpless.
    »Ist es weit dahin?«
    »Nein, eigentlich nicht.« Das Ganze wurde immer surrealer: Unterhielten sie sich tatsächlich gerade über eine neugotische Holzkirche? Vielleicht brachte es seine Nichte nicht fertig, dem, was sie soeben gehört hatte, ins Gesicht zu sehen, und suchte Zuflucht davor.
    »Ich würde gerne dorthin fahren«, sagte Nancy. »Jetzt gleich. Mit Ben.«
    »Du weißt, dass es sich um eine katholische Kirche handelt?«, fragte Sharpless vorsichtig.
    »Ich glaube, in einer katholischen Kirche kann ich genauso gut mit Gott sprechen wie in einer methodistischen Kirche, Onkel Henry.«
    Sie stand wartend da. Sharpless staunte über ihre Haltung, darüber, dass von den drei Personen im Raum gerade diese behütete junge Frau diejenige zu sein schien, die die Situation im Griff hatte.
    Er geleitete sie hinaus und setzte sie in eine Rikscha.
    Während der Fahrt schwieg sie, unerreichbar hinter einer unsichtbaren Mauer, den Blick auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Pinkerton war schweißgebadet, und in seinem Kopf herrschte ein Durcheinander von unausgesprochenen Worten. Nur einmal unternahm er den Versuch, zu ihr durchzudringen.
    »Nance«, setzte er an, »wenn ich es dir doch nur erklären …«
    Mit einer Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen.
    In der Kirche ging sie vor ihm her zu einer Bank, kniete nieder und legte die Stirn auf die gefalteten Hände. Er suchte sich einen Platz weiter hinten in der Nähe der offenen Tür und betete, nicht um Vergebung oder um eine Lösung, sondern um eine kühle Brise, die seine fieberheiße Haut kühlen würde. Die Zeit verging. Die Sonne wanderte weiter und mit ihr das Mosaik aus Farben, das sie durch die Buntglasfenster auf den Boden malte. Die Zikaden in den Bäumen draußen vor der Kirche erfüllten die Luft mit ihrem unablässigen Zirpen, es klang wie eine rostige Schere, die sich in seinen Kopf bohrte. Er wartete, rutschte auf seinem Sitz hin und her, die Uniformhose klebte feucht an seinen Gesäßbacken, bis Nancy endlich wieder aufstand, kurz den Kopf in Richtung Altar neigte und an ihm vorbei zum Ausgang schritt, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
    Sie sah jetzt nicht mehr bekümmert aus, sondern schien im Gegenteil geradezu zu strahlen. Sie war zu einer Entscheidung gelangt, an der sie ihren Verlobten allerdings noch nicht teilhaben ließ; auch sie war nur ein Mensch und genoss es, ihn eine Weile schmoren zu lassen. Sie bat ihn lediglich, sie zu ihrem Schiff zurückzubegleiten. Sie würden morgen miteinander reden, sagte sie, um zwölf Uhr im Büro ihres Onkels.
    In ihrer Kabine bürstete sie ihre Haare, cremte ihr Gesicht ein und putzte sich die Zähne, dabei gingen ihr immer wieder Pinkertons Worte durch den Kopf, und sie drang jedes Mal näher zu

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