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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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Schwimmer nackt im Schwimmbad, sichtbar während er schwimmt durch das durchscheinende Grün oder mit dem Gesicht nach oben liegt oder lautlos hin und her im wiegenden Wasser rollt …
    Hatte Ben in seinen letzten Minuten mit dem Gesicht nach oben gelegen und sich im durchscheinenden Grün lautlos im wiegenden Wasser hin und her gerollt? Ben, der schöne Schwimmer, der zufällig Ertrunkene.
    Am folgenden Sonntag sollte der Spruch der Woche offensichtlich praktischen Trost bieten, eine Botschaft an ein müdes, ängstliches Volk. Die Stimme des Predigers drang in ihr Bewusstsein, sie sprach vom Heldentum längst verstorbener Leute, von den Quäkern des achtzehnten Jahrhunderts, die ein Musterbeispiel für Mut gegeben hätten:
    »Jedes Jahrhundert hat seine Helden und Heldinnen, die bereit sind, sich großen Aufgaben zu stellen, für das allgemeine Wohl Opfer zu bringen und den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Sie verdienen unsere Dankbarkeit und unsere Unterstützung.«
    Nach dem Gottesdienst trat die Gemeinde in einen grauen, kalten Tag hinaus, aber Nancy, die vor Wut kochte, spürte die Kälte nicht. Den Mächtigen die Wahrheit sagen … Der Präsident mit all seiner Macht hatte sie betrogen. Überall im Land hungerten die Menschen, schliefen schlecht, wurden ihrer Menschenwürde beraubt. Schulen wurden geschlossen, Kranke nicht versorgt. Das Land war voll von Obdachlosen, die ziellos umherwanderten. War es nicht an der Zeit, dass sich etwas änderte? Sie hatte eine Stelle als Putzfrau angenommen, und als sie im örtlichen Parteibüro der Demokraten putzte, fielen ihr Flugblätter in die Hand, mit denen nach freiwilligen Helfern gesucht wurde. Sie betrachtete die Plakate, studierte die Schriften. Am nächsten Tag klopfte sie nach der Arbeit an Türen und verteilte Flugblätter.
    Bald darauf sprach eine der Kirchgängerinnen Nancy an, das Gesicht zu einer Grimasse des Mitleids verzogen. In entsprechend besorgtem Ton sagte sie: »Nancy, meine Liebe, was haben Sie vor?«
    »Ich mache für Roosevelt Wahlkampf«, sagte sie.
    »Hoffen wir mal, dass dein Held halten kann, was er verspricht«, bemerkte ihr Vater und klang dabei nicht besonders hoffnungsvoll. »Denk an die Warnung aus den alten Märchen: Überlege gut, was du dir wünschst.«
    Als die Wähler den Präsidenten bekamen, den sie sich gewünscht hatten, tanzte Nancy um den Küchentisch.
    »Wir sollten Champagner trinken! Einen Toast auf Franklin Delano Roosevelt!«
    »Na ja, wir gehörten noch nie zu den Leuten, die ständig eine Flasche Schaumwein im Kühlschrank liegen haben«, sagte Louis. »Gibst du dich auch mit Cola zufrieden?«
    Sie las Joey die in der Zeitung abgedruckte Antrittsrede vor.
    »So lassen Sie mich denn als Allererstes meine feste Überzeugung bekunden, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist – namenlose, blinde, sinnlose Angst, die die Anstrengungen lähmt, deren es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln.«
    Aber das war noch nicht alles, es folgten Trost und Ermutigung, als der Präsident seinem Volk sagte, das Glück liege nicht in dem bloßen Besitz von Geld, sondern in der Freude an der Leistung und in der moralischen Befriedigung durch Arbeit. »Diese dunklen Tage werden trotz allem ihren hohen Preis wert sein, wenn sie uns lehren, dass es nicht unsere Bestimmung ist, auf Hilfe zu warten, sondern uns und unseren Mitmenschen selbst zu helfen und zu dienen.«
    Später wiederholte er im Radio die Worte, die ihr Hoffnung gegeben hatten, knisternd schwebten sie durch den Äther: »Ich verpflichte Sie, ich verpflichte mich zu einem New Deal für das amerikanische Volk.«

Kapitel 22
    NOCH GANZ EUPHORISCH von dem Wahlsieg gab Nancy Joey einen Kuss und sagte wie jemand, der eine Gutenachtgeschichte mit der Verheißung eines glücklichen Endes schließt: »Jetzt wird alles besser werden, du wirst schon sehen. Roosevelt wird den Obdachlosen helfen.«
    Auf dem Weg zur Tür des Dachbodens, wo eingezwängt zwischen Kartons und leeren Koffern Joeys Bett stand, fügte sie für sich selbst hinzu: »Und hilf auch uns, bitte, lieber Gott.«
    »Amen«, hörte sie Joey unter der Bettdecke hervor murmeln. Nancy sah überrascht auf. Hatte sie etwa laut gesprochen? Der Junge musste gute Ohren haben.
    Joey lag auf dem nicht ganz dunklen Dachboden und hörte sie die Treppe hinuntersteigen, im Zimmer darunter herumlaufen. Jedes Geräusch verwies auf eine Handlung: das leise Klappen beim Schließen einer Tür, das

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