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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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Flammen.
    »Mein Gott! Es brennt!«, brüllte er, aber was er sah, war nur ein Spiegelbild, das Inferno von Hooverville, reflektiert von den hohen Fenstern des Kapitols, rot und golden lodernd.
    Entlang des Flussufers widersetzten sich die Männer der Vertreibung, erwiderten den Kampf, Frauen pressten hustend und halb blind ihren Kindern feuchte Lappen auf die Gesichter, um sie vor dem Gas zu schützen. Ben wich aus und duckte sich, rannte zurück, um einer hochschwangeren Frau zu helfen, die in Panik erstarrt zurückgeblieben war, und stand plötzlich einem Infanteristen gegenüber. Beide fuchtelten wild herum, Angriff oder Verteidigung, wer konnte das schon sagen? Ben war unbewaffnet, das Gewehr des Infanteristen traf ihn mit voller Wucht an der Schläfe, er wurde herumgeworfen, stolperte rückwärts in Richtung Brücke. Dort erwischte ihn der durch die Dunkelheit zischende Knüppel eines Kavalleristen und brachte ihn zu Fall, er taumelte gegen das Brückengeländer, kippte ganz langsam über die Brüstung, fiel in den Fluss und versank im schaumbedeckten Wasser.
    Ben, die Augen weit offen, konnte durch das trübe Wasser das Flackern ausmachen, das schimmernde Licht der Flammen. Er war ganz ruhig, schließlich war er Schwimmer, oder etwa nicht? Das hier war sein Element. Er musste nur seine Arme und Beine dazu bringen, ihn nach oben zu tragen. Noch als die Dunkelheit sich um ihn schloss, wusste er, im Wasser würde er immer sicher sein.

Kapitel 21
    DIE NEW YORK Times brachte die Nachricht.
    »Gegen Mitternacht schlugen über den Anacostia Flats die Flammen hoch in den Himmel, und ein erbarmungswürdiger Flüchtlingsstrom von Weltkriegsveteranen verließ das Zuhause, das sie hier die letzten zwei Monate gefunden hatten, ohne zu wissen, wohin sie sich jetzt wenden sollen.« Das größte Hooverville des Landes, in dem fünfundzwanzigtausend Menschen Zuflucht gefunden hatten, war dem Erdboden gleichgemacht worden.
    Es hatte Tote gegeben. Laut New York Times wurde offiziell von »zwei Toten unter den Erwachsenen« gesprochen. Zwei Männer waren erschossen worden, zwei Kleinkinder gestorben, erstickt am Tränengas. Ein Mann war ertrunken, aber das sei ein »zufälliges Zusammentreffen«, wie es hieß.
    Als Nancy den Bericht in der New York Times las, wusste sie bereits, dass Ben tot war. Sie hatte den vernichtenden Schlag erhalten und hingenommen.
    Vor Jahren war Nancy einmal von der Schule nach Hause gekommen und hatte ihrer Mutter dabei zugesehen, wie sie in der Küche ein großes Vorratsglas nachfüllte. Als sie sich umdrehte, verfing sich der Glasdeckel in Marys Ärmel und fiel auf den Boden. Erstaunlicherweise überstand er den ersten Aufschlag – er prallte unversehrt ab –, doch als er dann aus ein paar Zentimetern Höhe das zweite Mal aufschlug, zerbrach er in tausend Scherben. Das hatte Nancy nie vergessen.
    Da war er wieder, der zweite Aufschlag. Die New York Times , die darüber entschied, was wichtig war und was nicht, legte es schwarz auf weiß dar: zwei offizielle Todesfälle. Ein »zufällig« Ertrunkener. Das Pathos dieses zufälligen Ertrinkens zog ihr den Boden unter den Füßen weg, und ihre mühsam zusammengehaltene Kraft zerbrach wie Glas. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Die Beerdigung war gut besucht, wobei die Trauergemeinde ungewöhnlich schäbig aussah, da die Einwohner der Stadt zahlenmäßig weit übertroffen wurden von Veteranen, die zusammen mit ihren Frauen und Kindern erschienen waren. Zwischen den Kirchenliedern sang man ein altes Soldatenlied.
    Bens Eltern, von der Trauer herbeigetrieben, versuchten, sich mit Nancys Familie zu verständigen, aber ihnen fehlten die richtigen Worte. Sie standen da, nahmen mit versteinerten Gesichtern die Beileidsbekundungen entgegen, gaben Joey einen kurzen Kuss auf die Wange und wandten sich wieder ab, wütend über den Verlust. Ein großer blonder Junge, der hinter ihnen gestanden hatte, trat einen Schritt vor und lächelte.
    »Nancy? Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an mich. Jack.«
    Nancy, die sich schon den ganzen Tag wie eine Schlafwandlerin bewegt hatte, erwiderte die Begrüßung mechanisch.
    »Jack …« Sie hielt inne. »Bens Vetter. Natürlich! Du warst auf unserer Hochzeit. Danke, dass du heute gekommen bist.« Sie drehte den Kopf. »Und das ist Joey, du erinnerst dich sicher an ihn.«
    »Hallo«, sagte Jack, der sich nicht erinnerte.
    Joey neben ihr blieb still.
    »Wie groß du geworden bist«, sagte Nancy, um irgendetwas zu

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