Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
Vom Netzwerk:
Klicken eines Schalters, die gedämpften Klänge aus dem Radio, eine beruhigende, nicht sehr eindringliche Stimme: Nancy hörte dem Präsidenten zu.
    Früher einmal wären Gesprächsfetzen zu vernehmen gewesen, wenn Mann und Frau sich unterhielten. Früher einmal hätte ihm ein Vater mit Minzatem gute Nacht gesagt und wäre ihm durch die Haare gefahren. Joey weinte nicht, aber er spürte in sich eine altbekannte, quälende Leere, als wäre ihm ein Teil seiner selbst herausgeschnitten worden, an dessen Stelle nun eine Wunde war, die zu weh tat, um daran zu rühren.
    Der Widerhall dieser leisen, gemessenen Töne aus dem Radio drang durch die Bodendielen in die Metallbeine des Betts und über das Kissen bis in seinen Kopf. Keine Worte, sondern ein tiefes, weiches Brummen, das ihn in den Schlaf wiegte.
    Für ihn war Nancy seine Mutter, was sonst? Vor Jahren hatte er einmal vor der Schule auf sie gewartet und gesehen, wie sie am Tor auf der anderen Seite des Schulhofs die Arme ausgebreitet hatte, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Ohne nachzudenken, war er auf sie zugerannt und hatte sich in ihre Arme geworfen, war hochgesprungen, hatte seine Arme um ihren Hals geschlungen und sie an sich gedrückt. Er erinnerte sich, dass ihn im Vorbeigehen eine der Mütter amüsiert angesehen und er ihr über Nancys Schulter zugerufen hatte: »Das ist meine Mom !«
    »Ja, natürlich ist das deine Mom«, hatte die Frau achselzuckend erwidert und war weitergegangen.
    »Natürlich« war daran nichts. Andere Kinder hatten Mütter, über die sie sich keine Gedanken machen mussten. Joey hatte Nancys warmen Körper an seinem gespürt, ihre Arme, die ihn drückten und an sie pressten, und er hatte gewusst, dass es bei ihm anders war.
    »Und du bist mein kleiner Junge, Joey«, hatte sie lachend gesagt, aber ihre Stimme hatte zittrig geklungen. In diesem Moment hatten sie einen Pakt geschlossen und Neuland betreten. Von da an hatte er sie nicht mehr Nancy genannt, sie wurde Mom.
    Sein Vater hatte sich gefreut, aber Joey glaubte, dass auch Ben es irgendwie »natürlich« fand: Kinder nannten ihre Mütter nun mal Mom, was war schon dabei? Eine neue Ordnung bildete sich, eine Familieneinheit. Aber noch immer wurde Joey von Albträumen geplagt; er befand sich in einem Raum, dessen Boden mit Matten bedeckt war, und rannte auf eine Frau in Weiß zu, die, einer verwelkten Blume gleich, auf dem Boden lag. Wie eine Figur aus einem Zeichentrickfilm rannte er immer weiter, ohne von der Stelle zu kommen, und dann wachte er auf und stellte fest, dass er sich die Ohren zuhielt, um nicht hören zu müssen, wie jemand schrie.
    Durch das Kissen hörte er das leise, eintönige Murmeln der Stimme des Präsidenten.
    Nicht alle waren froh über die Wahl.
    Viel später, nachdem Nancy ihren Helden hassen gelernt hatte, konnte sie sich kaum mehr an ihren Schrecken und ihre Empörung erinnern, als sie in der Zeitung die Enthüllungsgeschichten über faschistische Verschwörungen las, über geheime Enklaven von Bankiers und die Intrigen der Magnaten an der Wall Street, die sich zum Ziel gesetzt hatten, den herzensguten Präsidenten zu stürzen. Auf Konferenzpapier skizzierte Mordkomplotte.
    Da sie keine Wahlkampfaufrufe mehr verteilen, nicht mehr von Haustür zu Haustür laufen musste, verbrachte sie ihre Zeit im Parteibüro der Demokraten damit, Umschläge zu bestücken und anderen ihr Ohr zu leihen, hörte mutlosen Menschen zu, bekam mit, wie Armut zu Verzweiflung führte. Schlechte Zeiten konnten einen nichts anderes lehren, als sich der Hoffnungslosigkeit zu ergeben. Nancy sprach vor allem mit Frauen, die nach Verständnis suchten.
    »Was ist mit der Arztrechnung und Schuhen für die Kinder?«
    Schuldgefühle wurden geweckt, unter denen gerade die Männer oft zusammenbrachen.
    »Was soll ein Mann tun«, fragte Nancy ihren Vater, »wenn er keine Arbeit hat und kein Essen kaufen und die Miete nicht zahlen kann?«
    Ein Mann ließ seine Frau seinen Gürtel spüren, einfach weil sie da war; ein anderer kratzte ein paar Cent zusammen, um sich durch den Boden einer Flasche einen rosigeren Blick auf das Leben zu verschaffen, einer sprang von einer Brücke, wieder ein anderer wählte den Küchenstuhl und einen Strick um den Hals. Andere verschwanden einfach.
    Schwere Zeiten.
    Nancy arbeitete jetzt Vollzeit im Parteibüro, sie tippte Protokolle ab, vervielfältigte Flugblatttexte, ging ans Telefon, erteilte Auskünfte …
    »Nancy, Eleanor will etwas gegen die

Weitere Kostenlose Bücher