Madame de Maintenon
Fouquets Schloß ausgestattet hatte, mit der Auswahl der glücklichen Maler und Bildhauer. Unter den Schriftstellern wurde als einer der ersten Molière benannt, der Lieblingsdramatiker des Königs; er stattete sei
nen Dank in typisch respektlosen Versen ab, in denen er seine schlafende Muse dafür schalt, daß sie um 6 Uhr morgens noch im Bett liege:
Meine Muse
309 , ich bin empört,
Deine Faulheit ist unerhört.
Auf zum Louvre! Jetzt nicht zagen,
um dem König Dank zu sagen.
Ludwig mag in der Wiederbelebung der Künste »die Aufgabe des Königs« gesehen haben, doch wie immer überließ er die Ausführung dem Generalkontrolleur Colbert, seinem »Arbeitsochsen«. Zum Glück war Colbert, der behauptete, schottischer Abstammung zu sein, der Aufgabe mehr als gewachsen. »Ich habe eine solche Liebe
310 zur Arbeit geerbt«, hatte er dem Kardinal Mazarin geschrieben, »daß ich den bloßen Gedanken an Faulheit oder auch nur maßvolle Arbeit nicht ertragen kann.«
Das traf sich gut für die Künstler und Gelehrten, die von den neuen Zuwendungen profitierten, welche man wohlweislich als gratuités bezeichnete . Im Unterschied zu Pensionen, die bis auf Widerruf und im allgemeinen lebenslang gewährt wurden, mußten die gratuité s für diese »Trompeter der Tugenden des Königs
311 « alljährlich erneuert werden: Empfänger, die sich nicht hinreichend enthusiastisch über den Charakter des Königs oder seine kriegerischen oder tänzerischen Leistungen äußerten, mußten damit rechnen, von der Liste gestrichen zu werden, und im Ergebnis entstanden unzählige dramaturgisch unausgewogene Stücke und Geschichtsdarstellungen von sachlich zweifelhaftem Gehalt. Doch während Ludwig die freien Künste als »Ornamente des Staates« betrachtete, erkannte der weitsichtige Colbert in ihnen ganz wesentliche strukturelle Stützen, nicht so sehr einen Ausdruck der grandeur Frankreichs als vielmehr einen wesentlichen Aspekt seiner Erschaffung und Erhaltung. Im
In- und Ausland war Propaganda – ob in Schrift, Malerei, Skulptur oder Gesang – unerläßlich für das Reich von unvergleichlichem Ruhm, das er für seinen egozentrischen jungen Herrn zu errichten entschlossen war.
Von Ludwig selbst kamen keine Einwendungen. Er genoß die Details von Colberts Strategie – die Ballette und Opern, die amüsanten Stücke von Molière, die großen Unterhaltungen, die militärischen Feldzüge und die Bauprojekte –, aber es fehlte ihm die Fähigkeit, den Plan als Ganzes zu verstehen und unter veränderten Umständen neu auszurichten. Von Natur aus ein autoritärer Mensch, mit einem durch jahrelange Unterwürfigkeit und Schmeichelei aufgeblasenen Selbstbild, intelligent, aber unfähig zu tieferen Überlegungen, und mit einem beklagenswerten Bildungsmangel wegen seiner von Kriegen zerrissenen Jugendzeit, verstand Ludwig nur jene Teile von Colberts Plan, die seinen persönlichen Vorlieben entsprachen. Unfähig zur Analyse, kritisierte er instinktiv; unfähig, Zurückhaltung zu ertragen, stieß er beiseite, was ihm im Wege stand. Ludwig hatte sich, bevor das Jahrzehnt zu Ende ging, angewöhnt, alles, was er wünschte, als Beitrag zur gloire de la France zu betrachten und dementsprechend zu rechtfertigen.
Was er momentan wünschte, waren neue Stücke und Opern, und das Ergebnis seiner Wünsche bereicherte das Pariser Publikum, sowohl die »anständig Gekleideten« als auch die größere Zahl der (buchstäblich) Ungewaschenen. In den 1660er Jahren war das Pariser Theater noch ein Ort, wo Menschen aus allen Klassen zusammentrafen. Der Besuch eines Stückes ähnelte oft mehr einer politischen Versammlung als einer Gelegenheit, eine Komödie oder ein Drama zu genießen. Die Schauspieler wurden ständig von Zwischenrufen unterbrochen, sei es wegen ihrer Rolle auf der Bühne, sei es wegen ihres persönlichen Verhaltens außerhalb des Theaters.
Für ein Handgeld wurden Leute engagiert, um die Schau
spieler auszupfeifen, sie auszubuhen oder ihnen zu applaudieren; gelegentlich kam es zwischen den gegensätzlichen Gruppen zu Handgreiflichkeiten. Am schlimmsten waren die angeberischen Lakaien der Reichen; manche Theater versuchten, ihnen den Zutritt zu verwehren. Trotz allem waren die 1660er Jahre eine wunderbare Zeit für die Dramatiker von Paris: Racine, noch in den Zwanzigern, schrieb die ersten vier seiner großen Tragödien; Molière schrieb einundzwanzig Komödien; selbst Corneille, der im mittleren Alter war und in der Kunst wie im Leben seinen
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