Madame de Maintenon
alle Mittel in den Handel zu stecken, so daß ihre Armee geschrumpft war auf eine Mischung aus schlecht ausgebildeten Soldaten und lässigen Milizen, die in zerfallenden Festungen eine sporadische Bewaffnung bedienten. Deshalb erwartete Ludwig, als er im Mai jenen Jahres nach Norden davonritt, einen zweiten militärischen Spaziergang wie in seinem Devolutionskrieg im Jahr 1667. Er glaubte an einen Sieg, der die Niederländer in die dauerhafte Unterwerfung treiben würde, und er war entschlossen, ihn durch seine majestätische Präsenz
zu verstärken; er ließ sogar einen Abglanz des Ruhms auf die verblüffte Königin Maria Theresia fallen, die sich für die Dauer der Abwesenheit Seiner Majestät zur Regentin Frankreichs erklärt fand – was keinen größeren Schaden anrichtete, da Colbert bei ihr zurückblieb.
An der Spitze der 120 000 französischen Soldaten standen – außer dem König selbst – Marschall Turenne und der Prinz von Condé, seine beiden fähigsten Generäle, sowie der kleine Marschall von Luxemburg und der brillante Sébastien Vauban, der mit fast vierzig Jahren noch immer nur Hauptmann war, bald aber beweisen sollte, daß er in der wichtigen Kunst und Wissenschaft des Festungsbaus in ganz Europa nicht seinesgleichen hatte. Im Besitz von Bündnisverträgen mit dem Erzbistum Köln und dem Bistum Münster, die weitere 30 000 Soldaten beisteuern sollten, gedachten die Franzosen, diese an die spanischen Niederlande angrenzenden Territorien zu durchqueren und von dort in die Vereinigten Provinzen einzumarschieren. Bis zur zweiten Woche des Juni 1672 hatten sie sechs Städte eingenommen, wobei sie die offene Feldschlacht mieden und statt dessen den kostspieligen, aber eher berechenbaren Belagerungskrieg vorzogen, diese »theatralischste Form des Krieges
375 «, die Ludwig so genoß
376 .
Trotz des schlechten Zustandes der Verteidigungskräfte seines Landes hatte der energische zweiundzwanzigjährige Prinz Wilhelm von Oranien, seit kurzem Generalkapitän, ein niederländisches Heer von 20 000 Mann zusammengezogen. Es stand jetzt, nachdem es Gräben ausgehoben und Schutzwälle aufgeworfen hatte, abwartend bei Ijssel am südlichen Rheinufer, auf niederländischem Territorium, während die Franzosen unter Condé auf es losmarschierten. Doch Condé verlegte sein Heer bei der Furt von Tolhuis unerwartet auf das nördliche Flußufer, auf deutsches Territorium in der Nähe der Festung Schenk, wodurch er den jungen Prinzen und seine Truppen ganz umgehen konnte. Auf der ande
ren Seite wurden sie von einer kleinen Schar von Niederländern, die sich hinter Hecken versteckt hielten, angegriffen, und wenngleich Condé selbst schwer verwundet wurde, erlitten die Franzosen insgesamt nur geringe Verluste.
Condé hatte den Fluß tatsächlich in einem Boot überquert, und der König war Meilen davon entfernt in Doesburg gewesen, aber eine Handvoll unerfahrener junger Kavalleristen war erregt ins Wasser hineingeritten, und obwohl die meisten von ihnen ihr Leben verloren hatten, wurde dieses Drama weidlich ausgeschlachtet. Die Rheinüberquerung wurde in Frankreich sogleich zu einer Legende und zum Gegenstand zahlloser Gemälde und Wandteppiche, auf denen die kriegerischen Heldentaten des neuerlich bejubelten Louis le Grand gepriesen wurden. »Ich verstehe nicht, wie es ihnen gelungen ist
377 , den Rhein schwimmend zu überqueren«, schrieb Madame de Sévigné fünf Tage nach dem großen Ereignis atemlos an ihren Cousin. »Sich zu Pferde in den Fluß zu stürzen, wie Hunde, die einem Hirsch nachsetzen, und nicht unterzugehen oder beim Erreichen der anderen Seite auf der Stelle getötet zu werden – allein die Vorstellung verschlägt mir den Atem.«
Dem heiligen römischen Kaiser Leopold I . in Wien verschlug die Vorstellung ebenfalls den Atem, und in seinen Schock mischte sich Empörung. Er hatte zwar zugestimmt, in einem eventuellen französisch-niederländischen Konflikt neutral zu bleiben, aber diese französische Rheinüberquerung betrachtete er jetzt als einen Akt der Aggression gegen sein Reichsgebiet
378 . Das Neutralitätsversprechen preisgebend, beschloß er, die Niederländer zu unterstützen, die sich inzwischen nach anderen umtaten, die bereit waren, zusammen mit ihnen die Franzosen aus den Niederlanden zurück in ihr Heimatland zu treiben. Einen schwachen Verbündeten fanden sie in dem Cousin des Habsburgers Leopold, König Karl II . von Spanien, und eine stärkere Stütze in dem »Großen Kurfürsten« des
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