Madame de Maintenon
betraf, so sollte in Kürze ein höchst unschmeichelhaftes Porträt von ihm im Druck erscheinen, in dem Bestseller Caractères des Satirikers Jean de La Bruyère:
Ich höre den Theodect
542 schon im Vorzimmer; je näher er kommt, desto lauter erhebt er seine Stimme; endlich ist er eingetreten; er lacht, er schreit, er platzt los; man muß sich die Ohren zuhalten, es ist wie ein Donnerwetter. Er ist nicht weniger schrecklich durch das, was er sagt, als durch den Ton, in dem er spricht. Wenn er etwas stiller wird und von dem großen Lärm abläßt, so nur, um nichtiges, albernes Zeug daherzuplappern. Er nimmt so wenig Rücksicht auf die Zeit, auf die Personen, auf die Wohlanständigkeit, daß alle gleich ihr Teil abbekommen haben,
ohne daß er es wollte; er hat sich noch nicht einmal hingesetzt, so fühlt sich auch schon jeder im Kreise verletzt. Sind die Speisen und Getränke aufgetragen, so nimmt er als erster an der Tafel den besten Platz ein; die Damen sitzen rechts und links von ihm. Er ißt, er trinkt, er erzählt, er fällt in die Rede, er macht keinen Unterschied zwischen den Personen … Er spielt den Herrn des Hauses … Spielt man, so gewinnt er; er will den Verlierer necken und beleidigt ihn … es gibt keine Art von Albernheit, die man ihm nicht hingehen ließe. Es wird mir schließlich zuviel und ich verschwinde, unfähig, ihn … länger zu ertragen.
Kurz, Charles und Geneviève waren viel zu peinlich. »Nein, zieh nicht nach Paris
543 «, schrieb die besorgte Françoise ihrem Bruder. »Es würde sonderbar wirken, wenn Du in der Nähe wohntest und nichts mit mir zu tun hättest. Das ist natürlich nur ein Ratschlag von mir. Es ist kein Befehl …«
Es gab offenbar zwei uneheliche Söhne von Charles, die zu diesem Zeitpunkt noch in Françoises Obhut waren und denen es besser ging, als es ihnen in der Obhut ihres Vaters wahrscheinlich gegangen wäre. Charlot, der jetzt ungefähr zwölf war, obwohl er sehr viel jünger aussah, lebte auf Maintenon, »rundum gesund
544 , kleiner als je und auch schlauer als je. Er ist entzückend, ein richtiges Unikum. Er ist nicht einen Zoll gewachsen.« Françoise sah ihn häufig und berichtete Charles, daß er zu gegebener Zeit »ins Internat und danach zu den Kadetten muß. Sie sind prächtig, besonders die Poitevins [zu denen er gehen wird]. Sie haben den Preis für Manöver gewonnen.« Längerfristig konnte aus Charlot ein brauchbarer Kerl werden.
Der andere war Toscan, den sie in Paris zusammen mit den kleinen Prinzen von Athénaïs umsorgt hatte und der jetzt ungefähr dreizehn sein mußte. Sechs oder sieben Jahre zuvor, als Françoise erstmals Paris verlassen hatte, um offiziell am Hof zu wohnen, war er, wie es scheint, zu Pflegerinnen auf dem Lande geschickt worden, und ihre Briefe bestätigen,
daß sie danach unterschiedliche Beträge für seinen Unterhalt
545 gezahlt hatte. Im Laufe der letzten zehn Jahre hatte Françoise etliche Kinder unterhalten; 1680 waren es sogar zehn Jungen im Alter von Toscan, die auf ihre Kosten in dem Dorf Maintenon lebten. Sicher ist, daß im Frühling 1681 »ein Junge von zwölf oder dreizehn
546 Jahren aus recht guter Familie« mehr Aufmerksamkeit von ihr forderte als die anderen neun. »Er zeigt alle erdenklichen üblen Neigungen«, schrieb sie Père Gobelin. »Er ist ein Lügner, er ist faul, er spielt, er stiehlt« – kurz, eine ganze Skala von Lastern, wie sie schon ihr Bruder Charles und ihr Vater Constant an den Tag gelegt hatten. »Ich komme mit ihm nicht weiter, gleichgültig, ob ich ihm seinen Willen lasse oder ihn bestrafe … was kann ich tun? Wo kann ich ihn hinschicken?«
Wo Toscan hingeschickt wurde, wenn er es denn war, ist unbekannt – für den von Françoise geplanten Clan kam der Junge jedenfalls nicht in Frage. Akzeptabler oder zumindest wohlerzogener waren da ihre Verwandten de Villette aus Mursay. Die Mädchen waren alle verheiratet, und zwei von ihnen waren Hausfrau und Mutter und nicht so leicht aus dem Poitou zu verpflanzen. Ihr Cousin Philippe, den sie in der Kindheit besonders gemocht hatte, war dagegen ein vielversprechender Mann; er war mittlerweile höherer Offizier bei der Marine und genoß einen hervorragenden Ruf. 1676 hatte ihm der König höchstselbst geschrieben und ihm zu seinem vorbildlichen Verhalten in der Schlacht gegen die Niederländer vor Sizilien gratuliert, und Françoise hatte mit ihrem eigenen Lob nicht gesäumt: »Ich war außer mir
547 vor Freude, als ich von Deinen Erfolgen
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