Madame de Maintenon
Kinder als Hugenotten erzogen werden. In ihrem Innersten mochte Marie-Anne wirklich »überglücklich« gewesen sein, wie
Françoise schrieb, daß ihr Sohn bereits bekehrt worden war, aber zugleich mußte sie aufs äußerste beunruhigt sein, was ihr Mann sagen würde, wenn er in ein oder zwei Monaten von See heimkehren würde.
Offensichtlich hatte Françoise sich eingeredet, es diene dem Wohl aller, wenn sie sich der Kinder bemächtigte und sie in den Katholizismus hineinlockte. In einem gewissen Sinne traf das zu: Als Hugenotten würde ihnen jegliches berufliche oder gesellschaftliche Fortkommen verschlossen sein, wohingegen der Einfluß, den sie jetzt durch ihre enge Verbindung zum König besaß, ihnen voll zugute kommen würde, wenn sie Katholiken waren. Die Familien Saint-Hermine und Caumont d'Adde scheinen die Dinge mehr oder weniger in diesem Lichte gesehen zu haben; eine entsprechende Korrespondenz mit ihnen zu diesem Thema hat sich zwar nicht erhalten, aber wenn man Françoise glauben kann, reagierten sie »zuvorkommend
562 «. Zweifellos hingen sie nicht so entschieden an ihrer protestantischen Religion, wie Vetter Philippe de Villette es für seine Person gezeigt hatte – vielleicht bildete Françoise sich sogar ein, ihre eigene Reaktion könne Philippe bewegen, eine pragmatischere Haltung einzunehmen, und auf jeden Fall zeigte die ganze Affäre, daß sie einigen der bedeutendsten religiösen und politischen Fragen der Zeit nicht das Gewicht beimaß, das sie hatten: Gewissensfreiheit innerhalb des Staates oder religiöse Konformität? War die heilige Mutter Kirche der einzige Weg zur Erlösung, oder war sie die prophezeite »Hure Babylon« und der Papst selbst der Antichrist, wie Luther und Calvin und Knox behauptet hatten? Waren die Protestanten zum ewigen Höllenfeuer verdammt, oder würden die Katholiken bis in alle Ewigkeit mit Heulen und Zähneklappern in der Hölle schmachten?
Anders als ihr standhafter alter Großvater Agrippa und vielleicht mit einer Spur der Berechnung ihres Vaters Constant sah Françoise diese Dinge vor allem politisch: Der Reli
gionsstreit hatte Frankreich zu Zeiten ihres Großvaters und ganz Europa in ihrer eigenen Kindheit zerrissen, und das sollte sich nicht noch einmal wiederholen. Die katholische Kirche hatte jetzt die Oberhand in Frankreich, und es war nach ihrer Überzeugung für alle das beste, wenn man das akzeptierte und sich daran hielt. Sie selbst war in einer damals keineswegs unüblichen Praxis gegen ihren Willen in den Schoß der Kirche gelockt worden, und für sie hatte sich alles besser gefügt, als man je hätte erwarten können. Warum sollten andere nicht auf gleiche Weise »gerettet« werden, wenn es am Ende doch ihrem eigenen Wohl diente.
Im übrigen wünschte Françoise sich ihren eigenen Clan am Hof aufzubauen, und wer würde auf längere Sicht loyaler sein als Fleisch von ihrem Fleisch? Die Jungen würden in der Armee oder in der Marine ihr Glück machen, und am Hof würde sie die Mädchen oder wenigstens eine von ihnen haben, die sie formen und prägen konnte – vielleicht, auch wenn sie das nicht sagte, nach dem Bilde jenes Mädchens, das sie selbst gern gewesen wäre. Sie war in der Behandlung der drei »Nichten« nicht unparteiisch; nachdem sie Minette, die sie »sehr gemocht« hatte, nicht »bekommen« hatte, entschied sie sich für Marthe-Marguerite als ihren besonderen Schützling, während sie die beiden anderen in einem Pariser Kloster in Verwahrung gab, unter der Oberaufsicht ihrer Tante Aymée.
Marthe-Marguerite blieb mit ihrem Bruder Philippe am Hof, und für einige Wochen auch ihr Cousin Louis-Henri de Saint-Hermine. Er hatte Françoise, wie sie vorhergesehen hatte, tatsächlich »etwas mehr Mühe« gemacht, und Mitte Januar 1681 mußte sie ihn zu Père Gobelin nach Paris schicken, auf daß dieser bei dem widerspenstigen jungen Mann sein Glück als Bekehrer versuchte. »Erzählen Sie ihm nicht
563 mehr als nötig über die Anrufung der Heiligen und Ablässe und die andere Dinge, die für Protestanten so anstößig sind«, warnte sie. Doch schon drei Wochen später hatte
auch Père Gobelin kapituliert. Es zeigte sich, daß Louis-Henri und die Mädchen in Paris nicht so entgegenkommend waren wie ihre Eltern, »zum grenzenlosen Ruhm
564 des Kalvinismus«, wie ihre Cousine Marthe-Marguerite später zugestand. »Sie reisen alle
565 am Sonntag ab«, teilte Françoise Charles mit. »Sie haben sich tapfer geschlagen und dann einen ehrenvollen
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