Madame Hemingway - Roman
wieder auf den Gedanken zurück, dass er vielleicht aus dem Nebel, der ihn umgab, ausbrechen und zu mir zurückkehren würde, wenn Pauline nicht in der Nähe wäre und er sie nicht mehr sehen könnte. Er liebte mich noch immer; das wusste ich. Aber die Präsenz dieses Mädchens war wie der Ruf einer Sirene, und er kam nicht dagegen an.
Am nächsten Tag hatte ich einen Entschluss gefasst und durchquerte den kleinen Hof zu Geralds Atelier in der Rue Froidevaux, wo ich Ernest an dem kleinen Tisch beim Arbeiten antraf. Ich setzte mich nicht hin. Ich konnte nicht.
»Ich möchte, dass du und Pauline mir versprecht, euch hundert Tage lang nicht zu sehen.«
Er schwieg überrascht. Ich hatte eindeutig seine Aufmerksamkeit auf mich gezogen.
»Es ist mir egal, wohin sie geht – von mir aus kann sie eine Fähre direkt in die Hölle nehmen –, aber sie muss fort sein. Du darfst sie nicht sehen, und du darfst ihr nicht schreiben, und wenn du dich daran hältst und nach hundert Tagen immer noch in sie verliebt bist, dann willige ich in die Scheidung ein.«
»Verstehe. Und wie bist du auf diesen großartigen Plan gekommen?«
»Ich weiß nicht. Don Stewart hat da etwas zu mir gesagt.«
»Don? Der war schon immer hinter dir her, weißt du das?«
»Du bist wohl kaum in der Position, andere zu verurteilen.«
»Ja, schon gut. Also hundert Tage? Und dann willigst du in die Scheidung ein?«
»Wenn du das dann immer noch möchtest.«
»Was möchtest du, Tatie?«
»Mich besser fühlen.« Meine Augen waren feucht, und ich kämpfte gegen weitere Tränen an. Ich übergab ihm ein Blatt Papier, auf dem ich die Vereinbarung festgehalten und unterschrieben hatte. »Unterschreib du auch. Ich möchte, dass alles klar und sauber ist.«
Er nahm den Zettel mit ernster Miene an. »Du versuchst nicht, mich zu bestrafen, oder?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.«
Er nahm die Vereinbarung mit zu Pauline und erklärte ihr das Vorhaben, und sonderbarerweise stimmte sie auf der Stelle zu. Ich nahm an, dass ihr starker Katholizismus die Märtyrerin in ihr hervorbrachte. Vielleicht war sie der Ansicht, dass mein Anspruch auf drei Monate eine angemessene Forderung der sitzengelassenen Ehefrau war, aber womöglich dachte sie auch, dass sie noch nicht genug für ihre Beziehung gelitten hatte. Die erzwungene Trennung würde dieses Problem lösen. Sie schrieb mir, dass sie meine Entscheidung bewunderteund darauf vertraute, dann ließ sie sich bei der Zeitschrift beurlauben und buchte eine Überfahrt in die Staaten auf der
Pennland
.
Innerhalb von elf Tagen, nachdem ich die Vereinbarung niedergeschrieben hatte, war Pauline aus Paris verschwunden, wenn auch noch nicht aus dem Rennen.
»Kann ich ihr schreiben, solange sie noch an Bord des Schiffes ist?«, fragte er. »Ist das erlaubt?«
»In Ordnung, aber dann beginnen die hundert Tage erst richtig, wenn sie in New York ankommt.«
»Du bist wie eine Königin, nicht wahr? Du machst die Gesetze.«
»Du hättest nicht zustimmen müssen.«
»Nein, da hast du wohl recht.«
»Ich will nicht gemein sein«, erklärte ich ihm sanft. »Ich versuche hier nur, mein Leben zu retten.«
Ernest hatte es schon immer gehasst, allein zu sein – doch Paulines Abwesenheit hatte ihn mehr als einsam und äußerst verletzlich gemacht. Schon nach ein paar Tagen stand er eines Abends vor meiner Tür. Er hatte die Arbeit für den Tag gerade beendet, und sein Blick zeigte, dass er wieder einmal zu lange allein in seinen Gedanken gewesen war und nun jemanden zum Reden brauchte.
»Wie bist du heute mit der Arbeit vorangekommen, Tatie?«, fragte ich und bat ihn herein.
»Es war ein bisschen so, als müsste ich mir einen Weg durch Granit sprengen«, erwiderte er. »Kann man hier einen Drink bekommen?«
Er folgte mir ins Wohnzimmer, wo Bumby Brot mit Banane aß. Er setzte sich, und ich konnte spüren, wie wir alle, selbst Bumby, aufatmeten. Einfach wieder gemeinsam am selben Tisch sitzen.
Ich holte eine Flasche Wein, die wir tranken, und dazu nahmen wir ein sehr einfaches Abendessen zu uns.
»
Scribner’s Magazine
zahlt mir hundertfünfzig Dollar für eine Story«, berichtete er.
»Das ist viel Geld, nicht wahr?«
»Das will ich meinen. Du solltest sie aber vielleicht besser nicht lesen. Sie handelt von unserer Zugreise mit der Kanarienvogelfrau. Es wäre nicht sehr erfreulich für dich.«
»In Ordnung, ich lese sie nicht«, versprach ich und fragte mich, ob er auch das brennende Bauernhaus in
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