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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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Entfernung vom Haus auf dem Feld standen und Männer eilig dabei waren, zu retten, was noch zu retten war. Ich erkannte einen rosa Waschbottich aus Emaille, einen Schaukelstuhl und einen umgefallenen Kinderwagen – und es zerriss mir beinah das Herz. Dort stand das ganze Leben von Menschen aufgebaut, ein Haufen Möbel wie Streichhölzer. Sie sahen nicht gerettet aus, sondern verlassen, während der Rauch in dichten Wolken hervorquoll.
    Wir erreichten Paris kurz vor Morgengrauen. Ernest und ich hatten in der Nacht kaum geschlafen und auch kaum miteinander gesprochen. Wir hatten nur getrunken und aus dem Fenster gesehen, wo die Zeichen der Zerstörung kein Ende zu nehmen schienen. Im Randgebiet der Stadt, in der Nähe von Choisy-le-Roi, stand ein demolierter Gepäckwagen neben den Gleisen.
    »Ziehen wir das jetzt wirklich durch?«, fragte ich Ernest.
    »Ich weiß nicht, tun wir das?«
    In diesem Augenblick erwachte die Amerikanerin, streckte sich lautstark und nahm dann das samtene Abdecktuch vom Vogelkäfig, um den Kanarienvogel zu wecken. Irgendwie war es tatsächlich Morgen geworden, und wir waren zu Hause, auch wenn es schwer war, irgendetwas zu fühlen. Ich hatte so viel Brandy getrunken, dass meine Hände zuckten und mein Herz dumpf in meiner Brust pochte.
    Als wir den Bahnhof erreichten, gab Ernest dem Gepäckträger unsere Koffer durchs Fenster hindurch, und wir traten hinaus auf den Bahnsteig. Es war fast schon September, und die Morgenluft war kühl und feucht.
    »Rue Froidevaux Nummer neunundsechzig«, wies Ernest den Taxifahrer an, und mir stockte der Atem. Er fuhr in Geralds Atelier, nicht mit mir zurück nach Hause. Nicht zurück zu irgendetwas. Es war wirklich vorbei.
    »Warum fährst du nicht gleich direkt zu Pauline?«, fragte ich.
    »Bitte fang nicht so an. Das hier ist schmerzhaft genug.«
    »Was weißt du denn schon von Schmerzen? Das Ganze ist doch deine Entscheidung, du Mistkerl.«
    Ich wusste nicht mehr, was ich sagte. Der Brandy durchströmte immer noch meine Adern und trieb meine Gedanken voran. Im Augenblick wusste ich lediglich, dass ich nicht allein sein konnte. Ich begann zu hyperventilieren, und als Ernestbesorgt näherrückte, schlug ich um mich und traf ihn an Brust, Schulter und Kinn. Es fühlte sich eigenartig an, wie in einem Traum. Meine Hand und sein Körper schienen elastisch zu sein. Ich fing an zu weinen und konnte nicht mehr damit aufhören.
    »Entschuldigen Sie meine Frau«, sagte Ernest auf Französisch zu dem Taxifahrer. »Sie fühlt sich nicht gut.«
    Als das Taxi endlich anhielt, stieg Ernest aus, lief um den Wagen herum und öffnete mir die Tür. »Komm schon«, sagte er. »Du brauchst etwas Schlaf.«
    Ich ließ mich von ihm die Treppen hinaufführen wie ein Mannequin. Der Boden des Ateliers war aus kaltem Beton, es gab einen kleinen Tisch, zwei Stühle und ein niedriges Waschbecken mit einem Krug auf einem Ständer. Er brachte mich zu einem schmalen Bett auf einem Podest, legte mich hinein und zog mir eine rote Wolldecke bis zum Kinn. Dann kletterte er hinter mich, legte die Arme um mich und presste die Knie gegen die Hinterseite meiner Beine, um mich so eng wie möglich zu umschlingen.
    »Gutes Kätzchen«, flüsterte er in meinen Nacken. »Bitte schlaf jetzt.«
    Ich begann zu zittern. »Lass uns das nicht tun. Ich kann nicht.«
    »Doch, du kannst. Es ist bereits geschehen, mein Liebling.« Und er wiegte uns vor und zurück, während wir beide weinten, und als der Schlaf endlich über mich kam, gab ich ihm weniger nach, als dass ich von ihm überwältigt wurde, wie von einer Krankheit oder dem Tod.
    Als ich Stunden später erwachte, war er bereits gegangen. Mein Kopf drehte sich von dem Brandy, den wir im Zug getrunken hatten, und eine weitere Form von Übelkeit kam aus einer Tiefe in mir, die unbeantwortbar war. Mein Leben war ein Trümmerhaufen, wie sollte ich mich wieder aufrichten?Wie sollte ich das durchstehen? Ich nahm mir einen Kohlestift von einem niedrigen Tisch und schrieb ihm auf einem Blatt Papier aus einem Skizzenbuch eine Nachricht, die viel ruhiger und gesammelter klang, als ich mich fühlte oder mich zu fühlen imstande zu sein glaubte:
Bitte verzeih mir die Szene im Taxi. Ich hatte den Verstand verloren, aber ich werde nun mein Bestes geben, um mich so gut wie möglich zu verhalten. Ich werde dich sehen wollen, aber ich werde nicht nach dir suchen.
    Ich verließ das Atelier, schloss die Tür hinter mir und trat hinaus in den kleinen Hof, wo eine

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