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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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Begebenheit in seinem Brief an Gertrude und Alice:
Mrs. Hemingway versucht die Mönche hier zu verführen. Bitte um Rat.
    Als wir am nächsten Morgen in Richtung Aosta aufbrachen, fühlten wir uns für den Rest der Strecke besser gerüstet – zumindest bis mein rechter Schuh an der Naht auseinanderfiel.
    »Das geschieht dir ganz recht, Fräulein Eitelkeit«, schnauzte Ernest mich an. Er selbst war kaum besser dran. Ihm war immer noch übel von der Höhe, und es forderte ihm alles ab, den Rest der Strecke zu bewältigen. Nur Chink war immer noch gut in Form. Er schnitt mir meinen anderen Schuh mit dem Messer auf, und so erreichten wir am nächsten Tag hinkend Aosta und traten von einem schneebedeckten Pfad direkt in den Frühling, mit hellgrünen Hügeln und herrlichen Weinbergen zu beiden Seiten. In einem Brief an Ruth scherzte ich, dass die Jungs mich beinahe in die Stadt tragen mussten, doch in Wirklichkeit überraschte mich meine eigene Zähigkeit. Es war beim besten Willen nicht schön gewesen, doch ich hatte mehr Durchhaltevermögen gezeigt, als ich mir je zugetraut hätte. Wenn diese schrecklichen Schuhe nicht gewesen wären, hätte ich die letzten hundert Meter nach Aosta auch rennen können.

Fünfzehn
    Im Zug nach Mailand schlief ich wie ein Murmeltier. Als ich aufwachte, unterhielten Ernest und Chink sich gerade über Benito Mussolini. Der neue faschistische Führer war gerade in der Stadt, und Ernest wollte versuchen, mit seinem Presseausweis ein Interview mit ihm zu ergattern. Er hielt Mussolini für die größte Mogelpackung in ganz Europa und wollte ihn unbedingt einmal kennenlernen. Chink dagegen musste zurück auf seinen Posten und verließ uns mit Küssen und Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen.
    Ernest war glücklich, wieder in Mailand zu sein. Nachdem wir neue Schuhe für mich gekauft hatten, besichtigten wir als erstes die atemberaubende Steinvilla in der Via Manzoni, die in das Krankenhaus des Roten Kreuzes umgewandelt worden war, in dem Ernest und Chink damals zur Genesung lagen. Wir standen vor dem Tor und schauten auf zu den Balkonen mit den gestreiften Markisen, den Korbstühlen und den großen Topfpflanzen.
    »Es sieht aus wie ein erstklassiges Hotel«, bemerkte ich.
    »Uns ging es auch gar nicht so schlecht da drin. Nur dumm, dass wir erst angeschossen werden mussten, um reinzukommen.«
    »Tut mir leid, dass ich mir gar nicht richtig vorstellen kann, wie es für dich gewesen sein muss.«
    »Ich bin trotzdem froh, dass du bei mir bist und meine Hand hältst.«
    »Das ist etwas, das ich immer für dich tun kann«, sagte ich und griff auch wirklich nach seiner Hand. Als nächstes liefen wir zum Duomo und kehrten dann bei Biffi’s in der Galleriaein, wo wir Schaumwein mit frischen Erdbeeren tranken. Ernest sprach nicht oft von seiner Zeit als Soldat, doch Chinks Gesellschaft und sein erneuter Aufenthalt in Mailand hatten seine Zunge gelockert, und nun sprudelte es geradezu aus ihm heraus. Die ganze Reise war für ihn wie eine Zeitmaschine, und nun war er wieder dort angelangt.
    »Es ist eigenartig«, begann er. »Am deutlichsten habe ich von der Nacht, in der ich angeschossen wurde, die Mücken in Erinnerung. Man konnte nicht schlafen, weil sie einem in die Ohren und in die Augenwinkel krochen. Aber wir fanden ohnehin nur wenig Schlaf. Und plötzlich ging der Himmel in Flammen auf. Es warf mich komplett um. Uns alle. Zuerst spürte ich gar nichts, und dann war da nur ein Druck auf meiner Brust, ich konnte kaum atmen, und in meinem Kopf dröhnte es.«
    »Möchtest du mir das alles wirklich erzählen?«, fragte ich ihn sanft. »Das musst du nämlich nicht.«
    »Ich glaube schon«, erwiderte er und schwieg dann ein paar Minuten lang. »Ich konnte kaum noch hören, aber irgendwo schrie jemand um Hilfe. Und irgendwie bin ich zu ihm gelangt, habe ihn hochgehoben und zum Gefechtsstand gebracht. Ich habe keine Ahnung, wie. Ich kann mich kaum noch an diesen Teil erinnern, nur, dass meine Beine unter mir zusammenbrachen. Ich hörte das Maschinengewehr, als hätte es gar nichts mit mir zu tun. Ich rannte weiter und legte den Kerl auf dem Boden ab, und auf einmal lag ich selbst neben ihm. Das war’s. Mehr weiß ich nicht.«
    »Dann kam das Feldlazarett«, sagte ich. »Und dann der Zug nach Mailand.«
    »Ja«, bestätigte er. »Jedes Mal, wenn der Zug anhielt, strömten Fliegen durch die offenen Fenster und übersäten meine blutigen Verbände. Zwei Tage lang war ich in diesem Zug.«
    Ich nickte.

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