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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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Gegensatz zu dir.« Chink legte seinen Kopf auf die gekreuzten Arme und schloss die Augen. »Der gute alte Hem«, murmelte er und schlief dann plötzlich ein.
    Es beruhigte mich, dass Chink sehen und verstehen konnte, was wir Gutes besaßen. Außerdem wusste er Dinge über Ernest, die mir unbekannt waren. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte, ganze Ströme aus Bier und nächtliche Geständnisse hatten sie einander nahe gebracht. An den langen, kühlen Abenden auf der breiten Veranda unseres Chalets sprachen sie manchmal über den Krieg, und ich verstand nun besser, was sie dort gesehen und erlitten hatten.
    Chink war Soldat und würde es auch immer bleiben. Während Ernest damals in sein Leben in den Staaten zurückkehrte, blieb Chink bei der britischen Armee. In den letzten Jahren war er in Irland stationiert gewesen, seine Truppe sollte den irischen Unabhängigkeitskampf eindämmen. Es war ein schwieriges Unterfangen, und er hatte dem Tod oft genug ins Gesicht geblickt, was er mit jedem Tag, den er bei uns verbrachte, ein wenig mehr abzuschütteln versuchte.
    »Es muss sich seltsam anfühlen; während dort erbitterte Kämpfe toben, gehst du an Bord eines Schiffes, um Urlaub davon zu machen. Man kauft sich einfach eine Fahrkarte und reist ab«, bemerkte ich eines Abends.
    Chink lachte bitter. »In unserem Krieg«, dabei nickte er in Ernests Richtung, »als die Front bis zum Ärmelkanal reichte, bekamen ein paar Männer Kurzurlaub, um zum Tee nach Hause zu gehen. Dann kamen sie zurück, nahmen ihre Bajonette undGasmasken und machten einfach weiter, noch mit dem Geschmack von Gebäck auf der Zunge.«
    »Dein Verstand hält so was allerdings nicht aus«, warf Ernest ein. »Diesen Sprung kann man nicht nachvollziehen. Man bleibt innerlich an einem dieser Orte hängen, oder irgendwo dazwischen. Und irgendwann bricht man dann zusammen.«
    »Das stimmt«, sagte Chink.
    »Wenn man einmal im Krieg war und ihn mit sich trägt, ist es auch immer möglich, dahin zurückzukehren. So ähnlich wie in deiner Bemerkung eben, Tiny.« Er nickte mir über den Tisch hinweg zu, und unsere Blicke trafen sich. »Als kaufte man ein Ticket dorthin, und wenn man aufwacht, klettert man einfach wieder heraus.«
    »Das ist nicht immer angenehm, oder?«, fragte Chink, der wusste, dass Ernest Alpträume von der Front hatte und oft mitten in der Nacht verschwitzt und panisch schreiend aufwachte. Die beiden Freunde nickten und prosteten einander zu.
    An einem dieser Abende voller Alkohol und Gespräche äußerte Chink seine Idee, über den Großen-Sankt-Bernhard-Pass nach Italien zu wandern.
    »Der Weg war immerhin gut genug für Napoleon und Karl den Großen«, bemerkte er und wischte sich den Bierschaum vom Schnurrbart.
    »Was glaubst du, wie weit es ist?«, wollte ich wissen.
    »Vielleicht fünfzig Kilometer?«
    »Lass es uns tun«, bekräftigte Ernest. »Von Aosta aus können wir dann den Zug nach Mailand nehmen.«
    »Oder nach Schio«, schlug Chink vor. »Und an den Tatort zurückkehren.«
    »Ich würde dir Schio unheimlich gern zeigen«, sagte Ernest an mich gewandt. »Das ist einer der hübschesten Orte auf der Welt.«
    »Es gibt dort eine alte Mühle, die wir als Kaserne benutzt haben. Wir nannten sie den Schio Country Club«, sagte Chink lächelnd. »Unzählige Male haben wir in der Mittagshitze in dem Flüsschen gebadet. Und die Glyzinien!«
    »Und die Trattoria mit dem kleinen Garten, in dem wir bei Vollmond saßen und Bier tranken«, fügte Ernest hinzu. »Es gibt in Schio auch ein nettes Hotel, das Due Spadi. Dort könnten wir ein, zwei Nächte bleiben, bevor wir weiter nach Fossalta fahren. Ich könnte die ganze Reise sogar für den
Star
aufschreiben. Verwundeter Soldat kehrt an die Front zurück.«
    »Ausgezeichnet«, stimmte Chink zu, und damit war es abgemacht.
    Am nächsten Morgen verließen wir das Chalet mit vollgepackten Rucksäcken. Ernest kam gerade ins Zimmer, als ich versuchte, Platz für meine Gesichtscreme und mein Duftwasser zu finden. »Kannst du das noch bei dir unterbringen?«, fragte ich, und hielt die Fläschchen hoch.
    »Wohl kaum«, wehrte er ab. »Meinst du, die Forellen legen wert darauf, dass du gut riechst?«
    »Sei doch mal ein wenig nachsichtig«, bat ich, doch er war nicht umzustimmen. Schließlich gab ich die Sachen Chink, der sie widerwillig einpackte. Doch noch schlimmer als mein Wunsch, bei der Überquerung eines heimtückischen Bergpasses Duftwasser parat zu haben, sollte die Wahl meiner Schuhe sein:

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