Madame Hemingway - Roman
während das Akkordeon im Tanzlokal unter uns eine traurige Melodie anstimmte.
Wir besaßen nun über zweihundert Dollar vom
Toronto Star
, die uns ganz neue Möglichkeiten eröffneten, und wir beschlossen, sie für eine Reise in die Schweiz auszugeben. Ernest war zu dieser Zeit nahezu rundum zufrieden. Scofield Thayer vom
Dial
hatte zwar kürzlich die Gedichte, die Pound ihm nahegelegt hatte, mit einer verletzend unpersönlich gehaltenen Absage zurückgeschickt, doch Ernest hatte in Genua viele neue Bekanntschaften mit anderen Korrespondenten gemacht, mit denen er dort eng zusammengearbeitet hatte: etwamit Max Eastman, einem amerikanischen Redakteur, der ein paar von Ernests Prosaskizzen zugesandt bekommen wollte, oder mit Lincoln Steffens, dem berühmten Skandaljournalisten, der Ernest mit seinen kühnen Winkelzügen schwer beeindruckte. Steffens begeisterte sich nach einer Reise in die Sowjetunion für den Kommunismus und erzählte der Presse sowie jedem, der es hören wollte: »Ich bin in die Zukunft gereist und kann sagen, es funktioniert.« Ernest war hocherfreut, dass Steffens ihm seine Aufmerksamkeit schenkte, und das neu erworbene Gefühl von Gemeinschaft und Ehrgeiz stärkte ihm den Rücken, so dass er kurzerhand fünfzehn Gedichte an Harriet Monroe von
Poetry
sandte.
»Warum denn nicht?«, fragte er. »Vielleicht öffnet sich die Tür für mich erst, wenn ich lang und laut genug dagegen klopfe.«
»Für dich wird sich alles gut entwickeln, das kann ich spüren«, erwiderte ich.
»Vielleicht«, stimmte er zu. »Aber wir sollten nicht darüber reden, das könnte Unglück bringen.«
Wir kauften Fahrkarten für die dritte Klasse nach Montreaux und nahmen dort die elektrische Straßenbahn den Berg hinauf nach Chamby, das hoch über dem Genfer See lag. Unser Chalet war groß und einfach eingerichtet, und die Bergluft war herrlich klar. Wir wanderten täglich mehrere Stunden über dicht bewaldete Bergpfade und aßen nach unserer Rückkehr Roastbeef mit Winterkürbis und Obstkompott mit Sahne zu Mittag. Abends lasen wir am Feuer und tranken Glühwein mit Zitrone und Gewürzen. Wir schliefen so lange, wie wir wollten, liebten uns zweimal am Tag, lasen, schrieben Briefe und spielten Karten.
»Du bist so braun und stark und gesund«, sagte Ernest bei einer unserer Wanderungen. »Dir scheint all das hier gut zu bekommen.«
Ich freute mich über jedes Kompliment von ihm, dennoch konnte ich die einsamen Wochen in Paris nicht verdrängen. Sie hatten mir Angst gemacht und mich ins Grübeln gebracht, was Starksein wirklich für mich bedeutete – es war mehr, als gesund und sonnengebräunt, flexibel und anpassungsfähig zu sein.
Nach ein paar Wochen stieß Chink Dorman-Smith, ein alter Freund aus Ernests Kriegstagen, zu uns. Die beiden hatten sich in Schio an der italienischen Front kennengelernt, bevor Ernest verwundet worden war. Chink war Ire, so groß wie Ernest, aber viel hellhäutiger, mit rosigen Wangen und einem rotblonden Schnurrbart. Ich mochte ihn auf Anhieb. Er hatte vollendete Manieren, die besser zu einem Mann bei Hofe gepasst hätten, als zu dem Soldaten, der er war. Morgens gesellte er sich fröhlich summend zu uns an den Frühstückstisch und nannte mich Mrs. Popplethwaite. Ernest liebte Chink wie einen Bruder und hatte größten Respekt vor ihm. Mit ihm rivalisierte er nicht, wie er es mit vielen seiner Schriftsteller- oder Reporterfreunde tat, und so verstrichen unsere Tage unbeschwert. Das Rhônetal zeigte sich von seiner besten Seite, mit blühenden Narzissen auf allen Wiesen, die von gezackten Felsspalten umgeben waren. Als ich zum ersten Mal eine Narzisse durch das Eis hindurchwachsen sah, bewunderte und beneidete ich ihre Zielstrebigkeit.
Wir wanderten jeden Tag in den Bergen, wo wir auf hübsche Gasthöfe und vielversprechende Angelplätze stießen. Der Stockalper, ein Kanal nahe der Einmündung der Rhône in den Genfer See, wurde zu Ernests Lieblingsplatz diesseits von Nordmichigan. Stundenlang angelte er dort glücklich Forellen, während Chink und ich im Gras lasen oder uns unterhielten.
»Es ist schön, euch beide so verliebt zu sehen«, sagte Chink eines Nachmittags, als wir im Schatten eines blühenden Birnbaumslagen. »Zeitweise hatte ich befürchtet, Hem würde nie über Mailand hinwegkommen.«
»Über Mailand oder über die schöne Krankenschwester?«, fragte ich.
»Wohl beides«, erwiderte er. »Diese Zeit damals hat nicht das Beste in ihm zum Vorschein gebracht. Ganz im
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