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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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sollte uns einen Korb mit Broten und Wein packen, und wir würden uns ein Rennprogramm holen, das wir auf der Zugfahrt studierten. Sobald alles geplant war, spürte ich, wie der Druck auf meinen Schädel rasch nachließ und verschwand, wie ein Geist, der aus einem Haus vertrieben wurde. Ich war so glücklich, ihn mit niemandem teilen zu müssen, und hatte zugleich ein schlechtes Gewissen, weil es mich so glücklich machte.
    Ernest und ich liebten Auteuil. Wir lasen immer das ganze Rennprogramm zusammen und gingen dann zu den Koppeln,um die Tiere zu begutachten. Ich mochte den strengen Geruch der Pferde, die Rennbahn selbst und den Lärm der fröhlichen Menge, die das Glück so nahm, wie es gerade kam. Ernest war von allem fasziniert: von den Wogen, die über das Fell der Pferde glitten, den gedrungen wirkenden Jockeys in ihren Rennfarben, von den Trainern, die an der Absperrung standen und geheime Fähigkeiten zu haben schienen, von den Ausdrücken der Stallburschen und vom Geruch der Pferdepisse. Wir konnten zwar nie viel Geld einsetzen, aber es war schön, gemeinsam draußen in der Sonne zu sein. Ernest breitete seinen Mantel auf dem Gras aus, und wir aßen dort unser Mittagessen, wonach ich ein Schläfchen hielt oder einfach die Wolken beobachtete und auf das nächste Rennen wartete. Wenn wir etwas gewannen, tranken wir Champagner, manchmal auch, wenn wir verloren, weil wir einfach glücklich waren, zusammen dort zu sein – und was bedeutete Geld auch schon für uns? Wir hatten nie so viel davon, dass es wirklich etwas ausmachte, wenn wir es verloren.
    An diesem Tag war der Favorit eine glänzende dunkle Schönheit, ein guter und schneller Springer. Er nahm die Hürden mit solcher Leichtigkeit, dass man es kaum bemerkte, wenn er abhob. Wir setzten jedoch nicht auf den Favoriten, sondern auf ein anderes, leichteres Pferd namens Chèvre d’Or, das bei hundertzwanzig zu eins lag. Manchmal suchten wir die Pferde gemeinsam aus, nachdem wir an den Koppeln entlanggelaufen waren oder hinter der Absperrung beobachtet hatten, wie sie sich bewegten, bis wir ein sicheres Gefühl bekamen. Manchmal traf Ernest einen Bekannten, der ihm ein oder zwei Namen mit guten Chancen nannte. An diesem Tag jedoch folgte ich meiner Intuition und suchte das Pferd allein aus. Es war gut möglich, dass ich Glück haben würde. Schließlich war es schon einmal gutgegangen, und ich spürte, dass es an diesem Tag wieder passieren sollte. Chèvre d’Or war nichtganz so schnell und dunkel, seine Bewegungen erinnerten vielmehr an Brandy in einem Glas. Ich beobachtete seine geschmeidigen Beine und erklärte Ernest, dass er der Richtige sei.
    »Lass uns gleich eine hohe Summe auf ihn setzen«, schlug ich vor. »Haben wir genug Geld dafür?«
    »Kann sein«, erwiderte er.
    »Wir sollten es auf jeden Fall ausgeben, egal, ob wir genug haben.«
    Er lachte und ging die Wette abschließen. Es gefiel ihm, wenn ich mutig war.
    »Bist du immer noch überzeugt von diesem Pferd?«, fragte er, als er zurückkehrte.
    »Das bin ich.«
    »Gut. Ich habe gerade sechs Monate Lebensunterhalt auf ihn gesetzt.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Doch«, sagte er. Ganz kribbelig vor Anspannung drängten wir uns mit den anderen Zuschauern vor der Absperrung. Mein Pferd lag von Anfang an vorn. Nach der zweiten Hürde war es für die anderen unerreichbar. Es sauste wie ein cognacfarbener Schatten voran, und bei der vierten Hürde war es den anderen bereits um vier Längen voraus.
    »Er schafft es«, sagte ich, rot vor Aufregung. Mein Magen hatte sich vor Anspannung verknotet.
    »Er schafft es tatsächlich«, erwiderte Ernest, während die anderen Pferde aufholten. Doch es war zu spät für sie, da Chèvre d’Or zu schnell und zu weit vorn war, erst zehn Längen voraus, dann noch mehr. Der Favorit preschte voran und überholte die anderen, angetrieben von der Gerte seines Jockeys, doch mein Pferd galoppierte in seinem ganz eigenen Rennen.
    Es war den anderen um zwanzig Längen voraus und nur zwanzig Schritte vom Ziel entfernt, als es passierte. So schön,wie der bisherige Lauf gewesen war, so hässlich war es, als der Hengst beim letzten Sprung stürzte. Wie eine Marionette krachte er zusammen. Es war so schrecklich, dass ich es nicht mitansehen konnte. Ich vergrub mein Gesicht in Ernests Schulter und bekam nicht mit, wie die Pferde dem gestürzten Tier auswichen und der Favorit völlig unverdient gewann.
    Den halben Heimweg im Zug über weinte ich, während wir durch

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