Madame Hemingway - Roman
dämmrige Vororte fuhren und aus dem Fenster die Wäscheleinen, den Müll und die in Lumpen gekleideten Kinder sahen. Ich versuchte verzweifelt zu vergessen, was wir an diesem Tag gesehen hatten.
Siebzehn
Unser erster Hochzeitstag stand bevor, und wir beschlossen, ihn gemeinsam mit Chink in Köln zu verbringen, wohin wir mit einem Schiff über den Rhein fuhren. Es war noch immer warm, die Tage waren herrlich und lang, und als wir Chink trafen, waren wir alle sehr glücklich, wieder beisammen zu sein. Er tat uns gut, wir taten ihm gut, und Köln war zauberhaft.
Eines Nachmittags lag ich im Gras und sah Ernest und Chink beim Angeln zu. Ernest griff in den Beutel auf der Bank neben sich und zog eine Flasche gekühlten Weißweins heraus, die er mit den Zähnen entkorkte. In seiner anderen Hand hielt er die Angelrute, deren Schnur weit ausgerollt war und sich durch sanfte Wasserstrudel bewegte. Ein angenehmer Luftzug wehte kleine Wolken aus gelbem Blütenstaub von den Bäumen auf uns herunter.
»Ihr Jungs seht aus wie gemalt«, sagte ich und blinzelte zu ihnen hinauf.
»Wir haben eine Bewunderin«, sagte Ernest zu Chink.
Ich stand auf, ging zu Ernest hinüber und beobachtete ihn ein paar Minuten lang aufs Genaueste. »Zeig mir, wie man das macht«, bat ich.
»Ist dir das Bewundern schon langweilig geworden?«
»Nein.« Ich lächelte. »Aber ich würde es gern einmal selbst versuchen.«
»Also gut.« Er stellte sich auf dem weichen, grasbewachsenen Ufer hinter mich und zeigte mir, wie ich die Rute werfen musste. Ich schwang meinen Arm in einem geschmeidigen Bogen zurück und wieder nach vorn, genau wie er es gesagt hatte, und die Angelrolle gab die Schnur perfekt frei. Sietauchte mit traumwandlerischer Sicherheit in die Strömung ein.
»Das hat sich gut angefühlt«, sagte ich.
»So weiß man, dass man es richtig gemacht hat«, erklärte Chink.
»Und jetzt?«
»Jetzt wartest du ab«, erwiderte Ernest und ging hinüber zum Angelkoffer. Noch bevor er ihn erreicht hatte, spürte ich einen leichten Zug an der Leine, gefolgt von einem etwas stärkeren. Instinktiv zog ich die Rute hoch, und der Angelhaken stak fest. Ich konnte spüren, wie der Fisch dagegen ankämpfte.
»Hey«, rief Chink, der mich beobachtete. »Sie ist ein Naturtalent!«
Ernest eilte zurück und half mir, die Forelle an Land zu ziehen, und schließlich lag der hellbraune, gepunktete Fisch vor uns auf dem Gras.
»Er tut mir ja schon ein bisschen leid«, bemerkte ich.
»Du kannst ihn zurückwerfen, wenn du magst«, schlug Chink vor.
»Den Teufel wird sie tun«, lachte Ernest.
»Nein. Ich will ihn essen. Ich will sehen, ob er anders schmeckt, wenn man ihn selbst gefangen hat.«
»Gutes Mädchen«, lobte Ernest. »Und er schmeckt dann übrigens tatsächlich anders.«
»Dachte ich mir.«
»Da hat wohl jemand den Instinkt eines Killers«, sagte Chink, und wir lachten alle.
»Am besten bringe ich dir gleich alles bei«, verkündete Ernest später, nachdem ich insgesamt drei Forellen gefangen hatte. Er zeigte mir also, wie man die Fische säuberte, ausnahm und im Fluss gut ausspülte, um sie dann zu braten.
»Das schreckt mich gar nicht ab«, erklärte ich bei der Arbeit.
»Ich weiß. Man merkt es dir an.«
Wir brieten meine Forellen zusammen mit den anderen sechs, die Chink und Ernest gefangen hatten, an Stöcken über dem Feuer.
»Meine schmecken mir am besten«, sagte ich und leckte mir das Salz von den Fingerspitzen.
»Mir schmecken deine auch am besten«, erklärte Ernest und öffnete eine zweite Flasche Wein, während der Tag in den Abend überging.
In Köln selbst war die Stimmung getrübter. In der britischen Besatzungsgarnison, bei der Chink seit kurzem stationiert war, hatte ein wütender Mob eine Reiterstatue von Wilhelm II. beschädigt. Das große Eisenschwert war heruntergerissen und die Sporen waren abgebrochen worden. Ein paar andere Randalierer hatten einen deutschen Polizisten umgebracht. Sie hatten ihn in den Fluss gejagt und seine Finger von der Brücke gelöst, an der er sich festgeklammert hatte. Äußerlich wirkte die Stadt mit den roten Dächern und den Dörflern in Lederhosen wie einem Märchen entsprungen, doch wie das restliche von den Alliierten besetzte Deutschland befand sie sich in einem Zustand größter Unruhe.
Ein paar Tage später, am 14. September, erfuhren wir in einem Café aus der Zeitung, dass die türkische Hafenstadt Smyrna brannte. Griechen und Türken bekämpften sich bereits seit der
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