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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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auf einmal ist alles ganz leicht. Ein britischer Soldat stößt dazu, legt seinen Arm um die Taille des Mädchens, und das Mädchen lächelt. Da springt Ernest vor und schlägt dem Soldaten ins Gesicht. Er hat das nicht geplant. Er weiß nur, dass er etwas tun muss, wenn er das Mädchen haben will. Von selbst kommen sie nie, und das würde man ja auch gar nicht wollen. Er spürt, wie sich der Kiefer des Soldaten unter seiner Faust ausrenkt. Er selbst fühlt jedoch noch nichts. Der Soldat fällt auf ein Knie, ist jedoch schnell wieder auf den Beinen, mit funkelnden, weit geöffneten Augen. Er stürzt auf ihn zu, ist aber nicht schnell oder tief genug. Ernest versetzt ihm diesmal einen Stoß in den Magen, dabei spürt er, wie dem Mann unter seiner Hand der Atem stockt.
    Das Mädchen sagt etwas, das er nicht versteht, aber es klingt wie: »Genug.« Er nimmt sie an der Hand, und sie verlassen das Lokal. Draußen steht ein Taxi, ohne ein Wort zu wechseln lassen sie sich zu ihrem Zimmer bringen. Hinter verschlossener Tür bindet sie ihr Kleid auf und greift dann nach seinem Gürtel. Er stößt ihre Hände weg. Er will es allein tun, auch wenn seine rechte Hand blutet. Er setzt sich auf einen kleinen Holzstuhl und zieht sie auf seinen Schoß. Rauh und samtig zugleich setzt sie sich rittlings auf ihn. Er bestimmt ihre Bewegungen, als wäre sie eine Puppe. Er muss es tun, da er nur so das Gefühl hat, nicht zu sterben, zumindest nicht in dieser Nacht. Er stöhnt, als es vorbei ist, und beim ersten Mal geht es sehr schnell. Er verbringt
die Nacht in ihrem schmutzigen Bett, am nächsten Morgen hinterlässt er die Adresse seines Hotels auf einem Zettel aus seinem Notizblock neben zwei amerikanischen Dollars. Er denkt, dass er sie wohl nicht wiedersehen wird, aber wenn doch, wäre es auch gut. Er hat noch genügend Geld, und wenn er sie wiedersähe, würde er sich vielleicht nicht so schlecht fühlen wie in diesem Augenblick. Vielleicht wird es dann besser, und vielleicht repariert es etwas in ihm.
    Er tritt auf die Straße. Es ist noch sehr früh und kühl, und es hat noch nicht wieder angefangen zu regnen. Auf dem Weg zu seinem Hotel denkt er:
Nun hast du es getan, nicht wahr? Du kannst es nicht mehr rückgängig machen und willst es ja auch gar nicht. Daran musst du dich erinnern, wenn du deine Frau wiedersiehst und am liebsten sterben möchtest, weil du sie so sehr verletzt hast. Denk daran, dass keiner dich dazu gezwungen hat. Niemand anderes als du selbst hat es getan, und allein deshalb sollte es dir nicht leid tun.
    Der Regen hat wieder eingesetzt, ein feines Nieseln, das in den Stoff seines Hemds und seiner Hose eindringt. Die kleinen Gebäude entlang der schlammigen Straße scheinen sich auf ihn zuzubewegen, und wieder ergreift der äußerst reale Gedanke von ihm Besitz, dass es keine andere Welt gibt außer dieser. Was macht es schon, zu wissen, dass deine Untreue deine Frau umbringt, wenn du gar keine Frau hast? Auch Paris hast du nicht mehr, du hast gar nichts. Du kannst dich genauso gut wieder mit dem braunen Mädchen treffen. Du kannst dich gleich dem Elend und der Krankheit ergeben, denn das hier ist die einzige Welt, die es gibt.

Neunzehn
    Als er fort war, war ich niedergeschlagen und fühlte mich schuldig. Ich hasste mich selbst. Ich betrachtete die Whiskeyflasche auf dem Regal und hielt sie sogar für einen Moment in den Händen, bevor ich sie wieder zurückstellte. Nicht vor dem Mittagessen. Sonst würde ich den Tag niemals bewältigen. Ich kochte also stattdessen Kaffee und schälte eine Orange. Ich versuchte, nicht an ihn im Zug zu denken. Er würde mindestens zwei Tage unterwegs sein und schließlich eine andere, gefährliche Welt betreten. Ich konnte nur hoffen, dass er in Sicherheit sein würde und dass das Band zwischen uns stark genug war, den Schaden, den es erlitten hatte, zu überstehen.
    Abgesehen von zwei hingekritzelten Postkarten, die er noch vor der türkischen Grenze eingeworfen hatte, hörte ich während der gesamten Dauer seiner Abwesenheit nichts von Ernest. Ich gab dem Telegrammdienst die Schuld daran, da ich mir nicht ausmalen wollte, welchen anderen Grund sein Schweigen haben könnte. Nach zwei Wochen las ich den ersten Artikel, der von ihm im
Star
erschien. Zu ausführlich daran zu denken, was dort vor sich ging – neben der Gewalt wüteten anscheinend auch Krankheiten wie Cholera und Malaria in epidemischen Ausmaßen –, machte das Warten für mich jedoch noch unerträglicher, also

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