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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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verbrannte ich die Zeitung und ging spazieren.
    Marie Cocotte besuchte mich jeden Nachmittag. »Sie müssen aufstehen«, sagte sie und gab mir eine Schürze, die ich um mein Kleid binden sollte. Zusammen bereiteten wir
bœuf bourguignon
und
blanquette de veau
mit
cassoulet
zu, und alles gelangganz vorzüglich, obgleich ich selbst keinen Bissen davon hinunterbekam.
    Lewis Galantière kam vorbei, saß mit mir an unserem fürchterlichen Esstisch und versuchte, mich ins Michaud mitzuschleppen.
    »Wie es scheint, hat James Joyce allein in dieser Woche sechs weitere Kinder bekommen. Und sie sind alle da, essen einen riesigen Berg Hammelfleisch und lassen Milch aus ihren Nasenlöchern spritzen. Das willst du dir doch wohl nicht entgehen lassen.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln, zog mich dann an, schlüpfte in meinen Mantel und meine am wenigsten altmodischen Schuhe. »Aber lass uns hier in der Gegend bleiben«, bat ich. »Heute nicht ins Michaud, in Ordnung?«
    »Madame, ich bin Ihr ergebener Diener.«
    Ich erzählte weder Lewis noch irgendjemand anderem, wie heftig wir uns gestritten hatten. Ich schämte mich zu sehr. Morgens schrieb ich Briefe und log, wenn ich Grace und Clarence berichtete, dass alles bestens war. Ich erzählte, wie gut Ernests Arbeit für den
Star
lief und wie vielversprechend seine Karriere sich entwickelte. Ich erwähnte nicht, dass er sich kürzlich entschlossen hatte, seinen exklusiven Vertrag zu brechen und unter einem Pseudonym Berichte an den
International News Service
zu senden. Das Ganze war geheim verhandelt worden und zog Lügen und Schwierigkeiten nach sich, wenn etwas beim
INS
landete, bevor seine »Exklusivberichte« beim
Star
waren, doch er behauptete, das zusätzliche Gehalt sei es wert. Er machte diese Sache mit seinem eigenen Gewissen aus. Ich selbst hatte mehr Probleme mit dieser Unehrlichkeit, da sie mir auf etwas Größeres hinzuweisen schien. Darauf, wie er sich stets außerhalb von allem stellte, koste es, was es wolle.
    Doch diese Gedanken führten zu nichts, außer zurück zum Whiskey. Also legte ich meine Gedanken mit dem Stapel Briefezusammen nieder und lief zum Musée du Luxembourg, um den Monets einen Besuch abzustatten. Dort stand ich und betrachtete die leuchtendsten Stellen seiner Seerosen und die hübsche Violettfärbung des Wassers und versuchte, gar nichts anderes mehr zu sehen.
     
    An einem frühen Morgen Ende Oktober stolperte Ernest am Gare de Lyon aus seinem Zug, als wäre er in einem schrecklichen Kampf gewesen, den er verloren hatte. Er war schwach und erschöpft und vom Malariafieber geschüttelt. Er hatte mehr als zehn Kilogramm verloren, und ich erkannte ihn kaum wieder. Er warf sich in meine Arme und brach zusammen. Wir gingen nach Hause, wo er sich übers Waschbecken beugte und mich seinen von Läusen übersäten Kopf einseifen ließ.
    »Tatie, es tut mir alles so schrecklich leid«, sagte ich, als seine Augen geschlossen waren.
    »Lass uns nicht davon reden. Das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
    Ich nahm die Schere, schnitt sein Haar ganz nah am Kopf ab, holte mir eine Lampe, um besser sehen zu können, und pickte die restlichen Läuse einzeln heraus. Dann rieb ich ihn am ganzen Körper mit Creme ein und half ihm in frische, saubere Laken, in denen er vierundzwanzig Stunden lang schlief. Als er aufwachte, brachte ich ihm Eier mit Toast, Schinken und Senf. Er aß dankbar alles auf und schlief dann sofort wieder ein.
    Er verließ das Bett eine ganze Woche lang nicht. Manchmal beobachtete ich ihn im Schlaf und konnte anhand seines Gesichtsausdrucks erkennen, dass er Dinge erlebt hatte, über die er wohl nicht so bald würde sprechen können. Der Bruch zwischen uns und das darauffolgende Schweigen waren schrecklich gewesen, doch sein Aufenthalt in der Türkei hatte all das in den Schatten gestellt. Und vielleicht hatte er recht, wenn ersagte, dass es nun nicht mehr wichtig sei. Er war wieder zu Hause, wir waren wieder zusammen, und vielleicht würde alles gut werden, solange wir nicht daran dachten und der Sache keinen Raum und keine Luft zum Atmen gaben.
    Nach einer Woche konnte er dann endlich aufstehen, sich baden und ankleiden, und war beinahe wieder bereit, seine Freunde zu treffen. Er kramte in seinem Seesack, fischte zunächst seine Notizblöcke heraus, die er jedoch beiseite legte, und holte dann in Zeitungen und Stofflagen eingewickelte Geschenke hervor. Er hatte mir eine Flasche Rosenöl und eine schwere Halskette mit großen ungeschliffenen

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