Madame Lotti
hellwach.
Die nächsten drei Tage, die ich noch in Kairo weile, bringen vier weitere Autounfälle, in die wir zum Glück nie verwickelt sind, und sie offenbaren, dass Aziz sehr witzig, sehr lebensfroh, sehr intelligent, sehr feinfühlig, sehr kommunikativ, sehr praktisch und sehr besonnen ist.
Aziz füllt die Zeit, die wir haben, gut aus. So machen wir einen kurzen Abstecher in die Wüste, bei welchem mir Monsieur Latrous die Pyramiden von Sakkarah zeigen will. Aziz fährt seinen Jeep Cherokee eigenhändig und sehr gekonnt durch den Sand. An das Fahrgefühl – es ist, als sitze man in einem Boot – muss ich mich allerdings erst mal gewöhnen, komme aber nicht dazu, weil es nach knapp zehn Minuten einen ohrenbetäubenden Knall gibt. Wir steigen aus, sehen Wasser unter der Motorhaube in den Sand laufen. Keine Fata Morgana. Ein geplatzter Kühlwasserschlauch. Und was jetzt?
«Wir können Hichem anrufen, ihn bitten, uns einen Ersatzschlauch zu bringen, und ihn montieren.»
Montieren? Einen neuen Schlauch? Hier? In der Wüste? Wir?
«Wir können», sagt Aziz und kratzt sich dabei am Kinn, «aber auch versuchen, das Ganze gleich jetzt zu reparieren.»
Wie bitte? Der Schlauch weist einen fünf Zentimeter langen Riss auf! Wie um alles in der Welt will ein studierter Maschineningenieur diesen flicken? Noch dazu ohne Werkzeug? Nun, indem er den Motor abkühlen lässt, dann seinen «Für-alle-Wüsten-Fälle-Werkzeugkasten» hervorholt, die beschädigte Stelle rausschneidet und den Schlauch über einen kürzeren Weg vom Kühlwasserreservoir zum Kühlsystem neu verlegt. Nach einigem Gezerre und immer schwärzer werdenden Händen hat Aziz (haben wir!) es tatsächlich geschafft, und wir fahren auf schnellstem Weg zurück in die Zivilisation und dort zu Aziz’ Garage.
Später besuchen wir ein mit der Familie Latrous eng befreundetes Ehepaar, das zwei Töchter in Sarahs Alter hat. Ferner haben sie vier Hunde, acht Araberhengste und ein traumhaft schönes Haus. Wir machen einen Ausflug auf den Markt und einen Abstecher in Lottis Kairoer Lieblingslokal, das eigentlich eine Imbissbude ist und tatsächlich sehr gute Poulets grillt. Einen halben Morgen verbringen wir wartend bei Sarahs Zahnarzt, der vor ihren Ferien noch die Spange kontrollieren und einstellen will. Nicht nur dort erlebe ich die selbstverständliche Zärtlichkeit, mit der Aziz sich um Sarah, seine Jüngste, kümmert. Aziz ist ein Vater, der mit seiner Tochter argumentiert, ihr Grenzen setzt, ihr aber auch Freiheiten zugesteht. Ist ein Vater, der Sarah am Abend mit einem Gutenachtkuss verabschiedet und sie am Morgen mit einer Umarmung willkommen heisst. Ein Vater, der damit beginnt, die Fünfzehnjährige loszulassen, und ihr gleichzeitig vermittelt: Ich bin immer für dich da. Bald wird klar, dass Aziz nicht die Mutter ersetzen will – «Muss ich auch nicht, Sarah hat eine Mutter!» –, sondern einfach versucht, ein guter Vater zu sein.
Morgens geniesse ich Aziz’ selbst gemachte Crêpes, die mit von ihm eingekochter Erdbeer-Pfirsich-Marmelade gefüllt sind. Die perfekt abgestimmte Säure und Fruchtigkeit bringt mich ins Schwärmen. (Am letzten Tag stehen zwei dick in Zeitungspapier eingeschlagene Gläser Marmelade neben meinem Koffer.)
Bei den Abendessen wird mir klar, dass Lotti, als sie einmal bemerkte, Aziz sei ein sehr guter Koch, noch untertrieben hatte. Sein Couscous war exzellent, und seine «Penne carbonara all’Aziz» sind unvergesslich. Dabei habe ich, als ich sah, dass er eine Büchse «Champignons de Paris» öffnete, erst gedacht, ich würde heute vielleicht lieber auswärts essen gehen. Er sah mir meine Skepsis sofort an und konterte mit seinem lebensmitteltechnologischen Wissen: «Champignons – nur solche aus der Büchse! – sind wie Schwämme und binden das Fett an sich.»
Was, wie sich schon bald herausstellte, bei seiner Carbonara-Sauce mehr als wichtig ist: Für vier Personen nimmt er nämlich nicht nur zweihundert Gramm fein geschnittene Salami, sondern auch noch zweihundert Gramm fein geschnittenen Speck. Salami und Speck werden in drei (!) Esslöffeln Olivenöl und fünfzig (!) Gramm geschmolzener Butter quasi frittiert. Fünf Minuten lang. Danach kommen zweihundertfünfzig Gramm Büchsenchampignons dazu, die in zehn Minuten tatsächlich das meiste Fett in sich aufsaugen. Schliesslich gibt er zwei frisch gepresste Knoblauchzehen, dreissig Gramm geriebenen Parmesan, drei in einen Viertelliter Vollrahm eingerührte Eigelb und vier
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