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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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sah mich, und ihr Gesicht änderte von einer Sekunde auf die andere die Farbe. Rot wie eine Pfefferschote, vergass sie erst zu atmen und flog dann die Treppe herunter. Direkt in die Arme – ihrer Mutter.
    Ich wurde meinem zukünftigen Schwiegervater vorgestellt, der leider kein Wort Französisch sprach. Er bekundete anfänglich Mühe, seine Tochter Hand in Hand mit einem Araber zu sehen. Es kam aber die Zeit, da er realisierte, dass Lotti sich nicht in ein Jimi-Hendrix-Double, sondern in meine Person verliebt hatte.
    Nach der Hochzeit wurde das Verhältnis zu meinem Schwiegervater von Treffen zu Treffen besser. Ich bemühte mich, Schweizerdeutsch zu sprechen. Wir spielten Tennis miteinander und gingen danach oft noch auf ein Bier in den ‹Löwen›. Er lehrte mich jassen, und als Lotti ihm von meinem bestandenen Studienabschluss erzählte, ging er stante pede in die Dorfkneipe und gab einen aus.
    Ich verstand seine anfängliche Skepsis gut. Die Schweiz gehörte damals – es war in den Siebzigern – noch sehr den Schweizern. Nordafrikaner, dunkle Haut, fremdländische Akzente waren selten. Meine ersten Besuche in Regensberg wurden denn auch von hinter geschlossenen Fenstern und zurückgezogenen Gardinen aus beobachtet. Es gab Momente, wo ich in dieser heilen Welt von Regensberg angestarrt wurde, als wäre ich ein entlaufenes wildes Tier. Aber der Tag kam, an welchem die Fenster geöffnet wurden und man Lotti und mich herzlich willkommen hiess.
    Mein Schwiegervater liebte die Berge, er nahm mich mit auf den Säntis, zeigte mir das Appenzellerland und Luzern. Ich hätte ihm gerne meinerseits meine Heimat gezeigt. Hammamet, Sidi Bou Said und Karthago. Doch er starb, bevor ich die Gelegenheit dazu hatte. Wir lebten damals in Saudi-Arabien.
    Nach Saudi-Arabien kam Nigeria, dann Kairo, schliesslich Abidjan. Unsere Kinder Selim, Sonia und Sarah wuchsen dadurch ohne Heimat auf, Lotti jedoch gelang es, ihnen trotzdem Wurzeln zu geben. Wir genossen die Zeit als Familie, wir unternahmen viel zusammen. Dadurch, dass wir in der Fremde waren, lebten wir sehr nah und sehr intensiv miteinander. Lotti sorgte für das Wohl der Familie, war zu Hause für alles verantwortlich. Kam ich von der Arbeit nach Hause, half ich ihr, wo es nötig war, ich wickelte die Kinder, las ihnen Gute-Nacht-Geschichten vor, stand in der Nacht auf. Lotti half auch mir. Sie übernahm Repräsentationspflichten, organisierte Geschäftsessen und machte für das Unternehmen wichtige Einladungen. Wir lebten so, wie ich meine Eltern erlebt habe, als gleichberechtigte Partner. Meine Mutter konnte weder schreiben noch lesen, aber sie war meinem Vater immer eine ebenbürtige Partnerin.
    Meine Eltern hatten immer zu tun. Meine Mutter mit den neun Kindern und dem Haushalt, mein Vater mit den Ländereien, die er bewirtschaftete, der Metzgerei, die er führte, den Olivenplantagen und Reben, die uns gehörten. Die Ehe meiner Eltern war durch gegenseitigen Respekt geprägt und sehr harmonisch. Ausser an den Tagen, an welchen mein Vater sich erlaubte, zum Mittag- oder Abendessen ein Glas Rosé zu trinken. Dann gab es Zwist, dann schlug die Stimmung im Haus spürbar um. Meine Mutter war nicht so sehr aus religiösen Gründen gegen das Weintrinken als vielmehr aus der Besorgnis heraus, er könne nach einem Glas Wein mit seinem Motorrad einen Unfall haben. Wir lebten nicht streng nach islamischem Glauben, den Ramadan aber, den hielten meine Eltern immer ein. Und auch wenn ich heute Bier trinke und Schweinefleisch esse – Ramadan ist mir heilig.
    Während des Fastenmonats von Sonnenauf- bis zum vollendeten Sonnenuntergang weder zu essen noch zu trinken, läutert mich körperlich und auch geistig. Ich erfahre in dieser Zeit am eigenen Leib, was es heisst, gegen den Durst nicht einen Tropfen Wasser zu haben, gegen den Hunger nicht ein Stück Brot. Ramadan beinhaltet aber nicht nur ein Verzichten auf Essen, Trinken, Rauchen und den Gebrauch von Luxusgütern wie zum Beispiel Parfüm, der Koran verlangt, dass wir in dieser Zeit auch auf üble Nachrede, Klatsch und Streit verzichten.
    Kinder, Schwangere, Stillende, Kranke und ältere Menschen müssen den Ramadan nicht einhalten. Meine Grossmutter allerdings weigerte sich – trotz der strikten Anweisung ihres Arztes –, auf das Fasten zu verzichten. Sie pflegte Folgendes zu sagen: ‹Lasst mich tun, was ich tun muss. Will Gott mich zu sich nehmen, dann tut er das, ob ich faste oder nicht. Das Gute daran ist: Nimmt er mich

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