Madame Lotti
Dieses Problem bringt mir ein anderes in Erinnerung. Der Nachtmarkt! Das Geschäftsessen! Ich wollte doch noch die definitive Zahl meiner Gäste melden. Also setze ich mich mit Bleistift und Papier hin und schreibe die Namen derer auf, die morgen kommen wollen. Nämlich alle. Alle, ausser eben Monsieur Konaté und Arlette.
Monsieur David, der Apotheker des Ambulatoriums, kommt, Adelaide, Véronique, Monique, Ange und Félix, die beiden Pfleger, Hortense, die Köchin, Martine, die Putzfrau, und all die anderen. Sogar Josiane, die früher im Sterbespital arbeitete und jetzt darauf wartet, dass das Mütter- und Kinderheim gebaut ist, wo sie dann einer Arbeit nachgehen kann, bei welcher sie nicht tagtäglich mit dem Tod konfrontiert wird. Alle haben sich riesig über die Einladung gefreut, sich zweimal versichert, dass es morgen sei, dass es auf dem Nachtmarkt sei und dass ich sie um sieben erwarte. Selbst César kommt, der kleine Mann mit den frech abstehenden Ohren und dem stolzen Lächeln, der im Slum von Vridi-Canal für die Kranken da ist und Lotti einmal in der Woche zu ihnen führt. Ohne ihn als ortskundigen Begleiter ist es schlicht unmöglich, den Weg durch dieses Labyrinth von behelfsmässig zusammengezimmerten Hütten, herabhängenden Elektrokabeln, scharfkantigen und rostigen Wellblechen zu finden.
Als ich die Liste fertig habe, zähle ich die Namen, gehe zum Nachtmarkt. Im Stillen denke ich, so viele Tische und Stühle haben die dort gar nicht, dass alle sitzen können. Die Wirtin erschrickt bei der Frage, ob es Platz für dreissig Personen gebe, fasst sich allerdings sofort wieder. «Kein Problem, ich werde alles organisieren.»
Dann schlendere ich zum Stand, der die besten Poulets braisés grillt, und bestelle für morgen Abend dreissig Schenkel. Die Freude des Grilleurs über diesen Grossauftrag bringt mich auf eine Idee: «Wenn Sie mir dann zwei Schenkel einpacken könnten, würde ich jetzt sogar zweiunddreissig vorbestellen!»
Was ich denn damit wolle, fragt der Grilleur, der damit beschäftigt ist, Holz für das abendliche Feuer bereitzustellen.
«Nun, ich möchte zwei Portionen ins Sterbespital hinunterbringen, damit auch die beiden etwas haben, die leider arbeiten müssen.»
Der Mann kratzt sich am Kopf. «Verpacken kann ich nichts, aber wenn Sie mir fest versprechen, dass Sie die Teller wieder zurückbringen, dann gebe ich sie Ihnen so mit.»
Ich verspreche es ihm hoch und heilig, bin mir allerdings nicht sicher, ob er mir glaubt. Nun, er wird schon sehen.
Von weitem sehe ich das Meer, und wäre der Verkehr auf der Hauptstrasse nicht so dicht und hektisch, würde ich sie überqueren und an den Strand gehen, den ich bis jetzt nur vom Auto aus gesehen habe. Brauner Sand, braunes Wasser, braune Palmen. Nichts Schönes. Auch deshalb lasse ich es bleiben.
Am Strassenrand stehen Frauen, die auf ihren Köpfen voll beladene, riesige Plastikbecken tragen und darauf hoffen, eine Lücke in der Kolonne zu finden.
Lotti hat mir einmal erzählt, dass von den vielen Strassenopfern, die es hier gibt, der Grossteil Frauen sind, weil es mit diesem Gewicht auf dem Kopf fast unmöglich ist, nach links und nach rechts zu schauen.
Ich lasse mir Zeit beim Nachhausegehen, mache noch einen Abstecher auf den Strassenmarkt, der sich auf halbem Weg befindet und der aus eng zusammenstehenden Verkaufsständen besteht. Das Angebot ist ebenso mager wie die Hühner, die in einem Maschendrahtverschlag ihrer Schlachtung entgegenpicken. Auf vielen Tischen fehlt die Ware ganz. Auf einigen liegen ein paar grüne Tomaten oder stehen zu Pyramiden aufgetürmte Maggi-Würfel. Bananen und Kohlestücke, so scheint es, hat es mehr als genug. Und Medikamente auch. Bloss erwecken diese in ihren alten, meist aufgerissenen Packungen nicht gerade mein Vertrauen. Es gibt auch ein paar richtig schöne Marktstände, solche, wo Stoffe verkauft werden, solche, wo silbern funkelndes Kochgeschirr feilgeboten wird, und solche, bei denen auf einem Quadratmeter alles für die Schönheit ausgestellt ist: Nagellack, Wimperntusche, Haarbänder, Armketten, Ohrringe.
In der festen Absicht, Alimata ein Lächeln abzugewinnen, kaufe ich ihr eine Kette aus kleinen Glasperlen. Bekomme dafür das bekannte Zucken um die Mundwinkel, aber kein Leuchten in den Augen.
«Alimata, kann ich etwas für dich tun?»
Sie schüttelt den Kopf. Erst. Dann schaut sie mich an, meint: «Ja, ich möchte gerne eine Rückenmassage.»
Ein grösseres Geschenk hätte sie mir
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