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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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einem weit aufgespannten Moskitonetz liegen die sechs. Auf der linken Matratze Emanuel, Christ und Willy. Auf der rechten Osé und Hermas, die heute Platz lassen für Mohamed.
    Antoine steht, statt zu schlafen, in seinem Gitterbettchen und wartet mit weit aufgerissenen Augen darauf, dass sich irgendjemand seiner erbarmt und mit ihm zusammen die Nacht zum Tag macht. Und weil er so süss ist, gehe ich zu ihm hin, strecke ihm meine Arme entgegen, was er mir glucksend verdankt. Und während ich ihn herumtrage, ihm Gute-Nacht-Lieder summe und ihn in den Schlaf zu wiegen versuche, beobachte ich Arlette, die vor «ihren» sechs Kindern kniet. In einem hellen Kleid, das die samtene Schwärze ihrer Haut betont. Sie wird mir später, als ich ihr ein Kompliment für den Stoff mache, erklären, es sei ihr schönstes und sie trage es ausschliesslich beim Gebet und am Sonntag, wenn sie in die Kirche gehe.
    Ihr Beten ist leise, aber so klar, dass ich einiges verstehen kann. Sie bittet Gott nicht. Sie dankt ihm. Dafür, dass sie all diese Kinder zu sich nehmen durfte. Dafür, dass sie hier arbeiten darf. Dafür, dass er ihr Lotti über den Weg geschickt hat. Dafür, dass er Noël zu sich genommen hat. Als sie fertig ist, murmelt sie vor sich hin, so, als würde sie den Rosenkranz beten, singt dann dasselbe Lied wie gestern für Noël, dankt abermals. Strahlt einen Seelenfrieden aus, der die Kinder wohl jede Nacht in null Komma nichts einschlafen lässt.
    Antoine wird in meinen Armen schwerer und schwerer, sein Atem geht regelmässig, ich spüre, dass auch er schläft, bringe ihn aber noch nicht ins Bett, weil ich sonst auf dieses wunderbar friedliche Bild verzichten müsste. Erst als Arlette fertig ist, gehe ich leise an ihr vorbei, lege Antoine ganz langsam und sanft in sein Bett, ziehe vorsichtig erst meine Arme, dann meine Hände und schliesslich meine Finger unter seinem Körperchen hervor. Doch kaum berühren auch meine Fingerspitzen ihn nicht mehr, brüllt er seinen Protest, alleine gelassen zu werden, lautstark in die Nacht hinaus. Der Frieden ist dahin!
    Arlette kommt zu mir, bietet mir an, den Kleinen zu übernehmen. Aber ich will, was ich verbockt habe, selber wieder ausbaden. Schliesslich wäre der Kleine, wenn ich ihn im Bett gelassen hätte, vielleicht, wer weiss, ganz von selbst eingeschlafen. Also nehme ich den Plärrenden in meine Arme, summe Wiegenlieder und schaukle ihn durch die Nacht. Neunzig Minuten später, beim vierten Versuch, ihn ans Bett abzugeben, bin ich endlich erfolgreich, was gut ist, denn gleich danach hätte ihn mein knurrender Magen aufgeweckt. Als ich, gesättigt von Nierchen und Spaghetti mit einem Schuss Essig, ins Ambulatorium komme, treffe ich auf Ouattara, der in Shorts und einem Frottiertuch über seinem nackten Oberkörper sofort auf mich zusteuert und klagt: «Schon wieder kein Wasser!»
    Dann erzählt er, er spare Geld, er wolle auswandern. Ich weiss, dass Ouattara nie im Leben genug sparen kann – wie denn auch –, um den afrikanischen Kontinent zu verlassen.
    Auf meine Frage, wohin es ihn denn ziehe, überlegt er keine Sekunde: «London!», und quittiert mein überraschtes Stirnrunzeln mit der Gegenfrage: «Gibt es dort auch kein Wasser?»
    «Doch, doch, dort gibt es schon Wasser, aber – kannst du Englisch?»
    «Englisch? Warum Englisch?»
    «Weil man in London Englisch spricht.»
    «Bist du sicher?»
    «Ganz sicher.»
    «London ist also keine gute Idee?»
    «Nein.»
    «Dann spare ich halt für – Paris. Dort spricht man Französisch, oder?»
    «Ja, aber es ist kalt im Winter, vergiss das nicht.»
    «Hier ist es auch kalt im Winter, das sag ich dir. Sehr kalt.»
    «Wie kalt?»
    «Zwanzig Grad!» Ouattara tut, als fröstle ihn.
    «Zwanzig Grad? Das ist warm, Ouattara!»
    Nun runzelt er die Stirn und drückt damit aus, was er nicht direkt aussprechen will: Zwanzig Grad sind warm? Die spinnt! Stattdessen meint er: «Wie kalt ist es denn in Paris?»
    «Unter null.»
    «Unter null? Oh!»
    «Bei Temperaturen unter null, Ouattara, gefriert das Wasser.»
    «Und wird zu Eis? Dann kann man dort ja auch nicht mehr duschen! Vielleicht bleibe ich doch besser hier, was meinst du?»
    «Ja, bleib hier, hier hast du Arbeit und kannst deiner Familie zu essen kaufen. Sei froh drum, Ouattara. Geniess, was du hast.»
    Etwas leiser füge ich an: «Das sollte ich auch öfter tun; geniessen, was ich habe. Gute Nacht!»
    Ouattara schaut mir nach, und als ich schon die halbe Treppe hochgestiegen bin, fragt

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