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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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nicht machen können. Ich lege eine Matte in den Hof, hole die giftgrüne Massagesalbe, küsse und herze auf dem Weg hin und zurück der Reihe nach Emanuel, Christ und Willy. Und auch Mohamed, der heute ausnahmsweise nicht von seinem Onkel abgeholt werden wird, da dieser sich einen freien Abend genommen hat. Mohamed hat es gut, Mohamed hat zwar keine Eltern mehr, aber einen Onkel, der ihn über alles liebt und sogar Arbeit hat.
    Bei Alimata angekommen, ziehe ich ihr das Leibchen über den Kopf. Ihr Rücken lässt ohne weiteres eine Studie der Anatomie der Rückenwirbel und der daran befestigten Rippen zu. Ich lege meine Hände auf ihre spitzen Schulterblätter, beginne ganz langsam zu kneten, vorsichtig, damit sie mir nicht zerbricht. Führe meine Daumen links und rechts der Halswirbel bis unter ihren Haaransatz, höre ein Seufzen. Als ich fertig bin, dreht Alimata den Kopf auf meine Seite: «Danke.»
    Kein Lächeln, aber wenigstens erkenne ich inzwischen, dass ihre Augen nicht abgrundtief leer sind, sondern irgendwie übervoll. Sie erinnern mich an das, was mich in den Physikstunden wirklich fasziniert hatte: schwarze Löcher. In sich zusammengesunkene, riesige Sterne, die alles, was ihnen zu nahe kommt, verschlucken, so dass in ihrem Inneren eine unvorstellbare Dichte herrscht. Bis vor kurzem hat man angenommen, dass nicht einmal Lichtstrahlen diesem Schwerkraftfeld entkommen. Der Astrophysiker Stephen Hawking hat diese Theorie, die er selbst über Jahrzehnte hinweg verfocht, inzwischen revidiert und erklärt, die schwarzen Löcher gäben doch Licht frei.
    Nun, für das Weltall mag das zutreffen. Bei Alimata ist es anders. Aus dem, was sie, hinter den Fenstern ihrer Seele, verdichtet hat, dringt weniger als nichts und schon gar kein Licht. Ich streichle ihr übers Haar, gehe zu Lotti, die in ihrem Büro über der Buchhaltung brütet, eine ihrer, wie ich weiss, absoluten Lieblingsbeschäftigungen. Sie strahlt dann auch, als ich komme, legt den Stift zur Seite und meint: «Pause!»
    «Erzählst du mir von Alimata?»
    «Ich weiss nicht mehr als du. Und Fatoumata, ihre Bettnachbarin, die sich so rührend um sie kümmert, ist auch noch keinen Schritt weitergekommen. Wir müssen ihr Zeit lassen. Sie bekommt höchst selten Besuch, und wenn, dann nur kurz. Sie war in einem erbärm-lichen Zustand, als ich sie in ihrer Hütte gefunden habe. Wir legten sie bei uns ins Bett, brachten ihr Essen und Medikamente, beides verweigerte sie. Und dies drei Tage lang. Sie trank Wasser, wenigstens das. Als Véronique mich bat, mit ihr zu reden, war ich ziemlich vehement.»
    «Vehement? Du?»
    «Ach komm, du weisst genau, wie vehement ich sein kann.»
    «Ja, aber nur wenn es darum geht, deine Kranken zu verteidigen und ihnen ihr Recht zu verschaffen, aber vehement mit ihnen?»
    «Wenn es sein muss, ja. Auf alle Fälle hat es bei Alimata – in ihren Dimensionen gemessen – ein kleines Wunder bewirkt. Sie begann zu essen und nahm auch brav ihre Medikamente.»
    «Und, wie sah deine Vehemenz aus?»
    «Nun, ich sagte: Sie schaute mich direkt an, trotzdem konnte ich nichts in ihren Augen lesen. Etwas, das mir so noch nie passiert ist. Also blieb ich einfach sitzen. Wartete minutenlang darauf, dass sie wenigstens sprach. Was sie dann auch tat: , murmelte sie. Seither isst sie immerhin und nimmt ihre Medikamente.»
    Draussen ist es inzwischen dunkel geworden, Lotti sagt, sie würde gerne ihre Buchhaltung zu Ende führen. Ob ich etwas dagegen hätte, heute nicht essen zu gehen. Die Frau lebt tatsächlich von Luft und Liebe!
    «Keinen Hunger?»
    «Und wie! Holst du mir in der Küche zwei Bananen?»
    «Ich kann dir auch Spaghetti mit Nierchen vom Kiosk bringen, mit einem Spritzer Essig darauf, die werde ich mir heute nämlich gönnen.»
    Aber Lotti meint, Bananen seien perfekt, also lasse ich sie in Ruhe.
    Die Nacht ist heute schwerer als gestern. Nicht der Hauch eines Lüftchens regt sich. Ich bleibe bei Monsieur Konaté stehen, der die Petroleumlampen, die er auf die Nachttische stellen wird, auffüllt. Mit einem Kopfnicken macht er mich auf Arlette und ihre Kinder aufmerksam. Unter

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