Madame Lotti
ihrem Geländewagen mitfahre oder in einem Personenwagen, der bei uns noch nicht mal mehr als Schrott durchgehen würde, ist ein kleiner Unterschied. Lottis Fahrstil lässt vielleicht in Sachen Hühner zu wünschen übrig, aber beim Taxifahrer will ich das Wort Fahrstil noch nicht mal in den Mund nehmen. Wenigstens sitzt Pierre, der Buchhalter, neben mir, verströmt Ruhe und sagt, er wisse gar nicht, warum ich immer wieder die Augen schliesse, der Mann verstehe sein Handwerk doch.
Pierre begleitet mich nach Treicheville, wo ich für den Stecker meines Laptops einen Adapter kaufen will. Offenbar möchte der Fahrer, dass ich schneller ans Ziel komme, als mir lieb ist. Inzwischen schliesse ich nicht mehr nur die Augen, sondern trete alle paar Sekunden mit beiden Füssen voll auf eine imaginäre Bremse. Was mich am meisten verunsichert, ist, dass Fussgänger und Velofahrer für den Mann nicht die geringste Bedeutung zu haben scheinen und dass der Bremsweg verdächtig lang ist. Nicht nur, weil der Taxifahrer ständig viel zu spät reagiert, sondern weil der Wagen offensichtlich fast keine Bremsbeläge mehr hat. Über die ganze Frontscheibe zieht sich ein diagonaler Riss, am Rückspiegel – doch, den hat er! – baumelt ein Heiligenbild, unter dem Armaturenbrett hängen Kabel heraus, und wenn er in eines der Schlaglöcher fährt, von denen es hier haufenweise gibt, springt der Deckel der Kühlerhaube auf. Nicht viel, nur ein klein wenig.
Eigentlich wollte ich auf dieser Fahrt Pierre fragen, ob er damit einverstanden sei, dass ich seine Geschichte aufschreibe – kann aber ausser «ui, ui, ui» keine Silben formen. Würde ich ihn besser kennen, würde ich seine Hand halten.
Nach einer halben Stunde sind wir dort, wo Pierre mich hinbringen wollte. Ich dachte, er gehe mit mir in einen dieser Supermärkte, die es in Abidjan gibt, doch weit gefehlt, ich bin in einem Quartier gelandet, das ein bisschen an China Town erinnert. Chaos pur. Einen Adapter finden wir auch beim dritten Geschäft nicht. Das vierte, das nicht von einem Afrikaner, sondern von einem Franzosen geführt wird, hat auch keinen, aber der Chef hat eine Idee: «Haben Sie das Kabel dabei?»
Ich lege es ihm auf den Tresen, er empfiehlt, den dreipoligen Stecker wegzuschneiden und durch einen zweipoligen zu ersetzen, und weil ich keine andere Möglichkeit sehe, stimme ich zu. Während der einzige Angestellte des Franzosen ganze Arbeit leistet, frage ich den Besitzer, warum seine Wände so verrusst seien.
«Das ist das Resultat des im Januar letzten Jahres unterzeichneten Friedensabkommens.»
Sämtliche Medien berichteten damals von Explosionen und schweren Unruhen in der Innenstadt, von zahlreichen Leichen in den Strassen, von brennenden Moscheen und Kirchen, Plünderungen französischer Geschäfte und dem Sturm auf französische Schulen. Die im Süden ansässigen Anhänger von Präsident Laurent Gbagbo warfen der Regierung in Paris vor, den Rebellen im Norden und Westen zu weit entgegengekommen zu sein.
Der Geschäftsinhaber meint, er sei heilfroh, dass er den Schaden noch nicht behoben habe, denn er erwarte jeden Moment das Ausbrechen neuer Konflikte. Und dies trotz der von der Uno entsandten Friedenstruppe. Er ist nicht der Einzige. Die Verunsicherung ist sogar im Slum Gesprächsthema Nummer eins. Gestern hatte Lotti eine Zeitung in der Hand, die meldete, dass die Regierung jedwelche Demonstration verboten habe. Die politische Situation hier ist eine Zeitbombe.
Als das Kabel gute fünf Zentimeter kürzer ist, stellen wir uns an den Strassenrand, um ein Taxi anzuhalten. Kaum sitzen wir drin, tut es mir Leid, dass ich das erste nicht gleich auch für die Rückfahrt gebucht habe. Unten, oben, rechts und links schepperts und klirrts, klapperts und krachts. Im Slalom überholen wir vor uns fahrende Autos, die an Auspuff und Stossstange Kinderschuhe oder Bananen und ab und zu sogar eine Ananas hängen haben. Dies, um drohendes Unheil von sich abzuwenden.
Leider lässt sich ein Taxi vor uns partout nicht überholen, was dazu führt, dass sich die beiden Fahrer einen Denn-sie-wissen-nicht-wassie-tun-Wettkampf liefern. An der Stossstange unseres «Gegners» hängt keine Frucht, sondern steht in grossen weissen Lettern: «Tout ce que Dieu fait est bon.» Alles, was Gott macht, ist gut.
Und es gibt tatsächlich noch Wunder: Wir kommen heil an. Ich lade Pierre zu einer Flasche Cola am Kiosk ein und frage ihn das, wozu ich auch auf der Rückfahrt nicht kam.
Er
Weitere Kostenlose Bücher