Madame Lotti
dem Gelächter ihrer Mitarbeiter ausgesetzt hat.
«Madame Lotti mit ihrem grossen Herz», meinten sie unisono, «ermöglicht jungen Paaren ständige Flitterwochen ohne Babygeschrei.»
Jetzt will auch Christ auf meinen Arm, dann auch Mohamed. Willy genügt es, mich anzustaunen. Ich setze mich auf den Boden, umarme die ganze Horde und winke dann Arlette, der Flüchtlingsfrau, zu, die sich mit ihren beiden Kindern Osé und Hermas bis jetzt im Hintergrund gehalten hat.
Arlette, die, genau wie ihre Kinder, HIV-negativ ist, ist zur Schönheit geworden. All die Sorgen, die ihr Gesicht zeichneten, als ich ihr das erste Mal begegnete, all die Anstrengung von tagelangen Märschen mit zwei kleinen Kindern und auch die Ungewissheit, was aus ihr und den beiden werden würde, sind weggewischt. Jetzt liegt ein Strahlen auf ihrem Gesicht, das von tief innen kommt und auch Dankbarkeit ausdrückt. Dafür, dass hier, unter diesem Dach, ihr unterernährter Sohn Hermas, ein erschütternd dünnes Wesen, das Lotti gerne «meine kleine Crevette» genannt hatte, zu einem pausbäckigen Jungen heranreifen konnte. Inzwischen nennt sie ihn «mein kleiner Buddha». Aber auch Osé, Arlettes Tochter, hat sich verändert. Sie hat ihre Scheu gegen die selbstbewusste Ausstrahlung einer kleinen Göre ausgetauscht und findet das Leben hier ganz offensichtlich wahnsinnig aufregend. Immer hat sie was zu tun, zu befehlen, zu fragen und weist all die Buben, wann immer sie kann, forsch zurecht. Osé, die früher viel geweint hat, tut dies inzwischen nur noch, wenn ihr Hermas eins auf den Deckel gibt. Eifersüchtig, wie der kleine Bruder ist, tut er dies oft genug. Und sie weint vor allem dann, wenn Arlette ihr eine neue Frisur verpasst. Was alle drei, vier Tage passiert. Es sind zwar kunstvolle, immer wieder neue Werke, doch der Zug an der Kopfhaut, den es braucht, um das widerspenstige Haar zu zähmen, muss enorm sein.
Lotti schaut auf die Uhr, drängt zum Frühstück. «Wir sind ja schon fast eine halbe Stunde zu spät für dieses wichtige Meeting!»
Mit dem Auto, das der Sturm – wie alles andere auch – mit einer feinen Staubschicht überzogen hat, fahren wir Richtung Ambulatorium, gehen zum Kiosk. Als ich dort – nein, keinen gefriergetrockneten, kondensmilchsüssen Kaffee, sondern – Tee bestelle, suche ich beim jungen Mann hinter dem Tresen nach einem Zeichen des Wiedererkennens. Vergeblich. Er ist wie immer. Absolut unnahbar. Kein Lächeln. Nie. Aber diesmal habe ich etwas dabei, das eine Reaktion hervorzaubern könnte. Ich nehme die Fotografie aus der Tasche, die ich mir das letzte Mal von ihm zu machen erlaubte. Erst zeige ich sie Lotti, die mich verschmitzt anlächelt. Dann lege ich sie auf den Tresen. Und tatsächlich! Wie erwartet erhellt ein kurzes Lächeln sein Gesicht, nachdem er das Bild in den Händen gedreht und gewendet hat. Keine fünf Sekunden später sitzt die Ernsthaftigkeit wieder wie in Stein gemeisselt in seinen Zügen. Ich weiss, dass der Mann, der aus Burkina Faso stammt, hier wirklich nichts zu lachen hat.
Der politische Grundkonflikt in der Elfenbeinküste rührt daher, dass das einst an Kakao-, Kaffee- und anderen Plantagen reiche Land auf Gastarbeiter angewiesen war, die aus den angrenzenden Ländern Mali, Ghana, Liberia, Guinea und eben Burkina Faso kamen. Jahrzehntelang halfen sie, die Wirtschaft des Landes in Gang zu halten, und machen inzwischen über zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Obwohl gut die Hälfte von ihnen in der Elfenbeinküste zur Welt kam, ist es ihnen verwehrt, die Staatsangehörigkeit zu erlangen, geschweige denn Grundeigentum zu erwerben. Nur Ivorer sind berechtigt, Land zu kaufen. Am 19.September 2002 putschten abtrünnige Militäreinheiten gegen die amtierende Regierung. Ihre Rechtfertigung: Laurent Gbagbo, man spricht den Namen Bagbo aus, der im Süden lebende christliche Präsident, schüre den Hass gegen die rund vier Millionen Immigranten und unterdrücke den muslimischen Norden. Die Rebellen brachten den Norden unter ihre Kontrolle. Trotz eines Friedensabkommens, das im Januar 2003 in einem Pariser Vorort vom Präsidenten und von der Opposition unterzeichnet wurde, ist die nationale Versöhnung nach wie vor nicht geglückt. Der Bürgerkrieg unterteilt das Land in den muslimischen Norden und in den christlichen Süden. Im Februar 2004 entschloss sich der Uno-Sicherheitsrat, dem französischen Militär, das mit knapp fünftausend Mann versucht, das Pulverfass unter Kontrolle zu
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