Madame Mystique
vernahm die diesen hohen und sehr schrillen Pfiff, der zugleich melodisch war.
Maxine ging davon aus, dass ihn kein Pferd ausgestoßen hatte, obwohl sie das auch nicht ganz verwarf. In dieser Lage war eben alles möglich. Sie kam sich zudem vor, als wäre sie der Realität entrissen worden.
Der zweite Pfiff bezweckte etwas. Zu beiden Seiten dicht neben ihr gab es Bewegungen. Da scharrten wieder die Hufe, und als sie jetzt auf der Seite liegend die Augen öffnete und den Kopf noch so weit drehte, dass sie nach vom schauen konnte, da sah sie, wie sich ein Schatten von ihr wegbewegte.
Das Pferd kam ihr wie ein Schatten vor, weil es kaum Geräusche verursachte. So behutsam lief es über den Boden hinweg.
Maxine war alles trotzdem unheimlich und auch unerklärlich. Sie lag noch immer, aber wenn sie mehr sehen wollte, dann musste sie sich aufrichten.
Sie setzte sich sehr langsam auf, damit sie einen besseren Überblick erhielt.
Die Hände und die Beine dienten ihr als Stütze. Das nahm sie wie nebenbei wahr. Sie schaute nur nach vom in den Nebel hinein. Selbst die drei Pferde interessierten sie nicht mehr, denn dort, wo sie soeben noch etwas erkennen konnte und der Dunst sich in eine fließende Grenze verwandelt hatte, da stand jemand.
Es war kein Pferd. Es war ein Mensch!
Die Gestalt bewegte sich nicht. Es war nicht mal zu sehen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, sie wirkte wie eine aus dem Nebel geborene Gestalt, die sich aus der Geisterwelt kommend hierher verirrt hatte...
***
Schlagartig hatte die Umgebung eine andere Atmosphäre erhalten. Die Angst war zurückgedrängt worden und hatte einem anderen Gefühl Platz geschafft. Maxine Wells wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte, es fielen ihr erst nach einigen sehr langen Sekunden die richtigen Worte ein.
Ja, das war das stille Grauen, das sie umgab. Dieses schaurige Gefühl, das der Nebel bisher für sich behalten, nun aber freigelassen hatte.
Und das lag an ihr, der oder dem Unheimlichen!
Es war kaum zu fassen, und Maxine traute ihren Augen nicht, aber die drei Pferde trotteten wie brave Schoßhunde auf die Gestalt zu. Sie waren von einem Augenblick zum anderen lammfromm. Direkt neben der Gestalt blieben sie stehen, senkten die Köpfe, rieben ihre Nüstern am Körper der Person, warteten darauf, gestreichelt zu werden und wurden nicht enttäuscht. Da konnten gar nicht genug Hände über Körper und Köpfe hinwegstreichen, um die Tiere zufrieden zu stellen.
Maxine Wells, selbst Tierärztin und den Vierbeinern sehr zugetan, verstand die Welt nicht mehr. Sie merkte kaum, dass sie noch immer kniete, und sie wagte auch nicht, aufzustehen, aus Angst, dass die fremde Person ihre Bewegung falsch einschätzen würde.
Sie war der Boss. Die Tiere gehorchten ihr, liebten sie heiß und innig, aber wer steckte dahinter? Wer schaffte es, Pferde und womöglich auch andere Geschöpfe so in seinen Bann zu ziehen?
Da wusste Maxine keine Antwort, denn so etwas war ihr noch nie widerfahren.
Die Tierärztin stand auch weiterhin auf der Stelle und hielt die Augen weit offen. Aber der Dunst war einfach zu stark, und die Person traf zudem keine Anstalten, näher zu kommen. Sie blieb dort stehen, als wäre es für sie der beste Platz auf der gesamten Welt.
Sie war nicht zu erkennen, gesichtslos, nicht mit festen Konturen. Eine, die aus dem Nebel erstanden war, um menschliche Gestalt anzunehmen.
Mann oder Frau?
Es war nicht zu erkennen, da musste Maxine schon raten, und sie tippte einfach auf eine Frau.
Das Hotel und das Gelände gehörten Tabea Ryder. Zu Gesicht bekommen hatte Maxine sie noch nicht. Sie kannte nur die Bücher der Tabea Ryder und hatte mit ihr telefoniert. Hätte die Gestalt gesprochen, so hätte sie zumindest die Stimme hören könnten. Den Gefallen tat ihr die Person leider nicht. Stattdessen senkte sie die Arme und ging zugleich zurück, ohne sich umzudrehen. Sie tauchte in den Nebel ebenso wieder ein, wie sie aus ihm hervorgekommen war. Es war kein Geräusch zu hören, und sie schien nicht über den Boden zu gehen, sondern zu schweben.
Maxine Wells blieb stehen. Sie wartete so lange, bis von der Gestalt nichts mehr zu sehen war. Erst dann atmete sie auf. Keine Pferde mehr, keine Angreifer, keine Geräusche, die ihr Furcht eingejagt hätten. Dafür diese lastende Stille, die ihr wieder so schwer und bleiern vorkam. Der Nebel war zu einem Feind geworden, und er schien sie erdrücken zu wollen. Maxine wunderte sich plötzlich, dass sie
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