Madame Mystique
nach links, sah nur den Nebel, jedoch keine Pferde. Sie hörte auch nichts mehr von ihnen. Die graue Suppe schien sie verschluckt zu haben.
Etwa eine Minute lang blieb Maxine sitzen. Sie versuchte dabei, ihre Gedanken zu ordnen, was nicht mal so schwierig war. Aber etwas wollte ihr trotzdem nicht in den Kopf. Sie begriff einfach nicht, dass sich die Tiere so aggressiv verhalten hatten. Hätte sie sich nicht zu Boden geworden, wäre ihr Kopf womöglich von den Hufen zerschmettert worden.
Als ihr dieser Gedanke kam, rieselte der nächste Schauer über ihren Rücken. Maxine konnte sich auch nicht vorstellen, welchen Grund das Verhalten der Tiere hatte. Pferde sind eigentlich nicht aggressiv. Hier wohl erst recht nicht, denn hier hatten sie auf den Weiden einen genügend großen Auslauf.
Wenn sie recht darüber nachdachte, dann gelangte sie zu dem Schluss, dass die Begegnung mit den drei Pferden schon eher einem Mordversuch geglichen hatte.
Bei diesem Gedanken schoss ihr das Blut wie ein heißer Strom in den Kopf und überschwemmte auch das Gesicht. Sie stand schnell auf und merkte, dass sie zitterte.
Die Party fing gut an. Dabei hatte sie die Gastgeberin noch nicht mal zu Gesicht bekommen.
Automatisch klopfte sie ihre Kleidung ab, was nicht viel brachte, denn der Boden war feucht gewesen, und der Lehm klebte an ihren Klamotten.
Was war passiert? Wer oder was hatte die Pferde so verflucht angriffslustig gemacht? Dass es ein Angriff auf sie, den Menschen, gewesen war, stand außer Frage.
Aber wer trug daran die Schuld? Die Tiere selbst oder der eine oder andere Mensch?
Aus dem Schatz ihrer Erfahrungen wusste sie, dass die Tiere von allein nicht aggressiv waren. Wenn sie sich so verhielten, dann trugen einzig und allein die Menschen daran die Schuld. Das war bei Hunden nicht anders als bei Pferden.
Wenn es zutraf, wer hatte die Tiere dann so wild gemacht? Wer wollte, dass sie ihre eingezäunte Weide verließen und sich nicht mal scheuten, auf einen Menschen zuzuspringen?
Max fand die Antwort nicht. Zumindest nicht, wenn sie selbst darüber nachgrübelte. Aber es gab eine gewisse Tabea Ryder, die Bücher über das Verhalten der Vierbeiner geschrieben hatte, und sie würde ihr sicherlich eine Erklärung geben können.
Aber warum? Wieso sie?
Quatsch!, dachte Maxine. Du hast nicht die Spur eines Beweises. Alles, was du jetzt denkst, bildest du dir ein. Das kann ganz anders gelaufen sein. Für so etwas gibt es kein Motiv. Das ist irgendwie verrückt und nicht nachvollziehbar.
Sie ging noch nicht und lauschte.
Wieder umgab sie tiefe Stille. Da war kein Laut und kein Geräusch zu hören. Weder von einem Menschen noch von einem Tier. Und der Nebel verbarg alles.
Maxine wollte nicht mehr weiter gehen. Der Weg sollte sie zurück ins Hotel führen, aber dort würde sie Tabea Ryder schon einige Fragen stellen, denn es waren schließlich ihre Pferde, die den Angriff gestartet hatten. Als etwas anderes sah die Tierärztin dies nicht an.
Den Weg, den sie jetzt einschlug, kannte sie schon. Nur ging sie ihn in umgekehrter Richtung, und sie hielt die Augen weit offen, um möglichst viel sehen zu können.
Einen Erfolg brachte ihr das nicht. Ihrer Meinung nach hatte sie sich nicht zu weit vom Hotel entfernt, aber nicht mal der Umriss war zu erkennen und auch keine helle Außenleuchte.
Hatte der Nebel zugenommen?
Das war durchaus möglich, denn es wurde allmählich Abend. Auch den Wind spürte sie jetzt stärker im Gesicht.
Wieder war es so still geworden, und sie vernahm nur die eigenen Schritte. Auch diese Geräusche klangen gedämpfter als sonst, weil der Nebel sie abschwächte.
Plötzlich waren die Pferde wieder zu hören.
Das typische Geräusch der Hufe, wenn Pferdebeine über den Boden trampelten. Sie spürte, dass sich etwas in ihrem Innern zusammenzog. Ihr Kopf ruckte von einer Seite zur anderen, und Panik schoss in ihr hoch. Kälte und Wärme zugleich strömten durch ihren Körper. Sie spürte die Furcht wie ein Nebel in ihrem Innern, wollte eigentlich wegrennen, aber sie wusste auch, dass die Tiere schneller waren und sie einholen würden, falls sie es wirklich auf sie abgesehen hatten.
Deshalb blieb Maxine stehen, den Kopf nach rechts gedreht, denn aus dieser Richtung drang das gedämpfte Donnern der Hufe.
Auf einmal wurden sie sichtbar. Es ging intervallweise. Zuerst waren es nur Schatten im Nebel, die sich so hektisch bewegten, als wollten sie auf den grauen Wolken tanzen.
Knapp zwei Sekunden später
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