Madame Mystique
Aber sie war nun mal scharf darauf, die Person kennen zu lernen, von der sie schon viel gelesen und mit der sie auch am Telefon gesprochen hatte.
Maxine hielt Tabea Ryder für eine der besten Tierpsychologinnen der Welt, und dagegen konnte auch das Vogelmädchen nichts sagen.
Trotzdem gefiel ihr die Sache nicht. Sie persönlich hätte die Reise nicht angetreten, aber Maxine dachte leider anders darüber. Sie hätte sich mehr darüber Gedanken machen sollen, weshalb gerade sie zu dieser Party eingeladen worden war, aber sie war so euphorisch gewesen, dass sie das vergessen hatte.
Nicht so Carlotta. Zwar war sie mit ihren 12 Jahren fast noch ein Kind, aber sie war zugleich auch ein besonderer Mensch, der nicht nur durch die Veränderung der Gene Flügel erhalten hatte, sondern in diesem Labor auch gut ausgebildet worden war.
Sie wusste viel. Sie war intelligent, sie besaß eine schnelle Auffassungsgabe, und sie war auch in der Lage, bestimmte Dinge und Verhaltensweisen richtig einzuordnen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Hinzu kam ihr Misstrauen, das sich in der letzten Zeit gesteigert hatte. Auch die neue Welt, eine, die nicht hinter Gitter lag wie die alte, hatte ihre Tücken. Hier lief auch nicht alles so normal ab wie man es sich gewünscht hätte. Probleme gab es genug, auch welche, die sie persönlich angingen, da brauchte sie nur an den Monstervogel aus Atlantis zu denken. Auch er war ein Tier gewesen, und jetzt hatte es Maxine wieder mit einem Fall zu tun, in dem Tiere eine wichtige Rolle spielten. Zumindest durch Tabea Ryder.
Allein in der Wohnung zu sein, kann für viele Menschen langweilig sein. Nicht aber für Carlotta. Zum einen musste sie sich um das Telefon kümmern und Absagen erteilen, zum anderen gab es genügend Abwechslung für sie, denn sie hatte viel nachzuholen.
Sie las. Sie probierte Computerspiele aus. Sie sah fern, und so bekam sie die Zeit schon rum. Wer sie beobachtet hätte, der hätte nichts anderes gesehen als ein blondes Mädchen, das jedoch nur auf den ersten Blick normal aussah. Beim zweiten wären dem Beobachter schon die Flügeln aufgefallen, die aus ihrem Rücken wuchsen und von einem weichen Federkleid umrahmt waren.
Das eben war das Andere an ihr. Für sie war es normal. Damit war sie aufgewachsen, und erst die Menschen hatten dies als unnormal angesehen, nachdem sie aus den Labors des verbrecherischen Gentechnikers Elax befreit worden war.
Bei Maxine Wells hatte sie eine neue Heimat gefunden, in der sie sich ungemein wohl fühlte. Inzwischen hatte sich das Zusammenleben zu einem Mutter-Tochter-Verhältnis entwickelt. Sie konnten sich gegenseitig vertrauen, sie mochten sich, und Carlotta half auch in der Praxis mit, hielt aber ihre Schwingen stets unter einem sehr weiten Kittel verborgen. Wenn sie flog, und das musste sie des Öfteren, um zu trainieren, dann nur in der Nacht und an einsamen Stellen, zu denen Maxine sie hinausfuhr. Da konnte sie dann dieses unbeschreibliche Gefühl der Freiheit erleben, und das kannte auch Maxine, denn schon öfter hatte das Vogelmädchen sie auf dem Rücken mit auf die Reise genommen.
Zum ersten Mal hatte Maxine sie allein im Haus gelassen, dem die Praxis angeschlossen war. Aber sie hatte versprochen, mit Carlotta telefonisch in Verbindung zu bleiben. Das war auch immer zum vereinbarten Zeitpunkt geschehen. Beiden war es gut ergangen, auch Maxine war zufrieden gewesen.
Seit einiger Zeit aber fühlte sich Carlotta nicht mehr wohl, weil die Anrufe ausgeblieben waren. Maxine hatte sich nicht gemeldet, und sie meldete sich auch nicht, wenn Carlotta es auf dem Handy probierte.
Genau das machte ihr Sorgen.
Je mehr Zeit verstrich, desto größer wurden sie. Fast alle fünf Minuten versuchte sie es mit einem neuen Anruf, aber die Verbindung wollte einfach nicht klappen.
Die Angst, das etwas schief gelaufen sein könnte, verwandelte sich bei Carlotta in ein Gefühl der Bedrückung. Sie verfügte nicht über hellseherische Fähigkeiten, aber sie schloss auch nicht aus, dass sich ihre Ziehmutter in Schwierigkeiten befand und man ihr sogar das Handy abgenommen und es zerstört hatte.
Die Zeit trieb dahin. Die Sorgen wuchsen. Als sich die Dämmerung bereits über dem Land spannte und Carlotta am Fenster stand, um in den Garten zu schauen, da wusste sie mit einem Mal, dass sie es hier im Haus nicht länger aushalten konnte, ohne zu wissen, was tatsächlich mit Maxine passiert war.
Zum Glück wusste sie, wo sich die Tierärztin
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