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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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täglich von 9 bis 16 Uhr.
    »Und im strengen kalten Winter?«
    »Wenn die Sonne scheint, können es minus 15 Grad werden. Dann schneide ich immer noch ohne Handschuhe.«
    Früher hätte er das nicht tun müssen. »Damals arbeitete ich in einem staatlichen Friseurgeschäft, wurde Meister und habe Lehrlinge ausgebildet.« Erst vor 10 Jahren entschied er sich, als Fahrradfriseur in den Park zu gehen.
    »Hier spare ich die Miete und transportiere den gesamten Friseurladen auf meinem Fahrrad.«
    »Schieben Sie Ihren fahrbaren Salon?«
    Er schaut mich sehr verwundert an und fragt, ob ich ihm nicht zutraue, dass er noch Fahrrad fahren kann. »Sogar freihändig mit dem Friseurladen hintendran.«
    Auf dem Anhänger stehen die Batterien und ein Transformator und Gumminäpfe mit Pinsel und Seife. Die Batterie wird, während Herr Yin meine Haare schneidet, so schwach, dass er vorzeitig Schere und Kamm nehmen muss. Den Kamm pustet er zuvor sorgfältig aus. Dann nimmt er einenGummiball, an dem sich ein Klistier befindet, aus dem er das Wasser fein zerstäubt herausdrückt.
    Als Kuni meint, dass mein Haar kurz genug ist, rückt Herr Yin mich vor den Baumspiegel. Ich nicke lobend und frage ihn nach seiner Familie. Er hat drei Kinder. »Einen Sohn und zwei Töchter. Der Sohn ist Chauffeur von einem großen Auto. Die eine Tochter arbeitet im Restaurant, die andere ist zu Hause.«
    Ich will wissen, ob sie die Friseurtradition seiner Familie fortsetzen werden. »Nein, sie sind wie die meisten jungen Leute heutzutage nicht mehr interessiert an Lebensgeschichten von anderen Menschen. Denn Friseur wird nur, wer neugierig ist auf die Geschichten der Köpfe.«
    Beim Fahrradfriseur
    Ein guter Tag für ihn? »Jeder Tag ist für mich gut. Gestern hat mir der Fischverkäufer zwei Goldfische geschenkt und mir erzählt, dass er sie aus einem verwahrlosten Teich herausgeholt hat, der früher dem Kaiser gehörte. Und heute, heute habe ich einem Deutschen die Haare geschnitten!«
    Wie um mir zu beweisen, dass der alte Solinger Stahl immer noch sehr scharf ist, wetzt er die Klinge an dem Lederriemen, der am Fahrradlenker hängt und rasiert mir die Haarkanten über den Ohren, ohne sie zuvor mit Seifenschaum einzupinseln. Ich beiße die Zähne zusammen.
    Der »Laden« des Fahrradfriseurs
    Danach möchte ich noch wissen, was für ihn ein schlechter Tag ist. »Wenn junge Männer, die noch gar keine Männer sind, sich bei mir die Haare schneiden lassen und mich, einen alten Mann, nachdem sie, ohne zu bezahlen, davongelaufen sind, aus der Ferne noch verhöhnen. Doch das geschieht nur ein oder zwei Mal im Jahr.«
    Um Chinas Zukunft müsste er sich nicht sorgen, sagt er. »Lediglich, wenn seine Führer vergessen sollten, dass ihre Eltern Bauern waren, und sich dessen schämen, wird es dem Land schlecht ergehen.«
    Sich selbst wünscht er nichts Besonderes. »Ich möchte so viel Geld sparen, dass mir, wenn ich einmal sehr krank bin, gute Ärzte helfen werden.«
    Ich frage Herrn Yin, wie viel ein Haarschnitt kostet.
    »10 Yuan.« (1 Euro)
    »Für Chinesen und für Ausländer?«
    »10 Yuan für alle Menschen, die mir Geschichten erzählen oder meine Geschichten hören wollen«, sagt der Fahrradfriseur und lacht.
    Ich gebe ihm 20 Yuan.
    Und er lehnt das hohe Trinkgeld nicht ab.
    Wahrscheinlich ist ein Trinkgeld das Privileg aller Friseure in allen Ländern.

    Als ich wenig später mit Kuni im Café sitze, schaut keiner verwundert auf meinen Haarschnitt.
    Kuni sagt: »Du siehst mit kurzen Haaren jünger aus.«
    Wir verabschieden uns, was in China ungewöhnlich ist, nicht mit Tee und Teigtaschen, sondern mit Kaffee und Kuchen.
    »Vielleicht komme ich als Reiseleiterin wieder einmal nach Deutschland. Dann rufe ich dich an«, versichert Kuni.
    Die Mitglieder einer deutschen Mittelstandsvereinigung,die sie in China betreute, hatten sie vor einigen Jahren zum Praktikum nach Deutschland eingeladen.
    »Nach Neuss. In der ersten Woche verstand ich – obwohl ich Deutsch spreche – kein Wort! Sie redeten dort in einem mir unverständlichen Dialekt. Ich war sehr traurig. Aber mit der Zeit begriff ich ihre Sprache und traf dort viele gute Menschen. Man lernt eine fremde Stadt nicht durch seine Bauten und Museen, sondern nur durch seine Menschen kennen. In der Familie, bei der ich wohnte, liebte ich vor allen Dingen das Frühstück: Weißbrot und Butter und jeden Morgen ein weich gekochtes Ei.«
    Beim zweiten Stück Abschiedskuchen sage ich Kuni, dass sie mir noch die im

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