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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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seiner Freilassung »floh« er 1999 nach China.
    »Ich war in der Fremde länger zu Hause als in Deutschland.« Von seinem 18. Lebensjahr bis zu seinem 50. hatte er nicht einmal 15 Jahre in Deutschland gelebt.
    In Peking arbeitete er zuerst bei der Firma »German Perfect Windows«. Er kannte Chinas Realität von seinem letzten Aufenthalt im Jahr 1985 und aus der Theorie seiner Diplomarbeit, in der er die Zeit um 1970 beschrieben hatte. Damals sollte China auf Befehl von Mao Zedong Großbritannien in der Stahlproduktion überholen. In jedem Dorf wurden kleine Öfen errichtet, in denen die Bauern alle verfügbareneisernen Gegenstände einschmelzen mussten. Millionen Bauern verhungerten danach, weil es kaum noch Pflüge und Eggen gab, mit denen sie die Felder bestellen konnten.
    Als er 1999 wiederkam, erlebte er den Wirtschaftsaufschwung in kaum vorstellbarer chinesischer Dimension. Klaus Schmuck glaubte, sich als chinesisch sprechender Ausländer mit seiner Fensterbaufirma gewinnbringend in das boomende reformierte Wirtschaftssystem einzupassen. Er glaubte es bis zum Februar 2001, als sein Mitarbeiter Weng, der ihm zuvor schon die Polizei auf den Hals gehetzt hatte, mit 45 000 DM verschwand.
    Das Leben in China war für ihn, der kein ausgesprochener Individualist ist, sondern eher einer, der den vorgezeichneten, notwendigen Weg geht, in den letzten 12 Jahren nicht einfach. »In China hat ein Chinese seine Funktion als Rädchen im großen Getriebe. Mehr nicht. Es geht um die Befriedigung der Masse, des Großen und Ganzen, und nicht um die Befriedigung des einzelnen Individuums, des Persönlichen.«
    Dem gegenüber steht die chinesische Verordnung zur Ein-Kind-Ehe. »Die chinesischen Einzelkinder werden heute von den Eltern und Großeltern von klein auf verhätschelt und verwöhnt. Alle springen um die verzogenen Persönchen herum. Die Kinder fühlen sich deshalb schon wie kleine Kaiser. Aber später fällt es den kleinen Kaisern schwer, sich als Erwachsene in die Masse einzuordnen.«
    Solch ein Problem hatte Klaus, das Einzelkind zweier Lehrer, niemals. »Ich vermisste lediglich den Austausch mit anderen Kindern. Und die Bodenständigkeit fehlte mir.
    Die Eltern meines Freundes Bernd waren Bauern. Und der sagte immer: ›Klaus, du mit deinen ungeschickten Intelligenzfingern.‹«
    Die Intelligenz hat ihm bis zur Auflösung des DDR-Außen ministeriums 1990 nicht geschadet. »Doch Intelligenz ist in der Welt nicht gleich Intelligenz. Sonst hätte auch ich mit meinenChina-Erfahrungen hier in der Deutschen Botschaft anfangen können. So komplikationslos und geradewegs wie Friederike.«
    Friederike sitzt ohne ihren Freund Robert mit anderen Deutschen dicht gedrängt am Tresen und trinkt ein Feierabendbier. Die dicke wattierte Hose und die Motorradjacke – die zierliche Person fährt auch in der Pekinger Dezemberkälte noch mit dem Motorrad – stehen, gekrönt vom Helm und über den Rucksack gelehnt, in der Ecke. Klaus umarmt sie von hinten, sie rückt für uns zur Seite. Es bleibt trotzdem so eng, dass wir nur seitlich mit einem Bein auf den hohen Barstühlen hocken können. Weil auch alle Tische besetzt sind, müssen wir wohl oder übel Kopf an Kopf miteinander reden.
    Neben Friederike steht eine schwarzhaarige junge Frau in einem langen, weiten, bunten indischen Kleid. Sie unterhält sich mit einem kleingewachsenen Europäer sehr laut auf Englisch. Doch anscheinend versteht sie Deutsch oder ist eine Deutsche, denn während sie schnell und laut spricht, lauscht sie, den Kopf drehend, später auch unserem Gespräch. Dabei erkenne ich an dem Scheitel ihres Haares, dass sie von Natur aus Rotblond ist.
    Ich bitte Friederike, zu erzählen, wie sie, eine von 6 Pfarrerstöchtern aus einem lippischen Dorf, nach Peking gekommen ist.
    »Im Gymnasium hatte ich Musik und Französisch als Leistungsfächer gewählt, ich war von Frankreich begeistert und wollte nach dem Abi zunächst Französisch studieren. Für den Diplomübersetzer-Studiengang musste ich mich für eine zweite Sprache entscheiden und nahm mir damals den Ratschlag eines Lehrers zu Herzen, der in Taiwan gewesen und überzeugt war, dass Chinesisch zu lernen zweifellos eine gute Zukunftsinvestition ist. Heute kann ich dem nur voller Überzeugung zustimmen! Nach zwei Jahren Studium erhielt ich ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und konnte somit ein Jahr in China studieren.
    Im August 1999 kam ich – mit fast 21 Jahren – das erste Mal nach China.

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