Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Chinas inzwischen auch nur ein Fake, eine gute chinesische Fälschung?«
Sie zuckt mit den Schultern, und ich frage, was sie China für die Zukunft wünscht?
»Dass sich die Gesellschaft ohne gewalttätige Auseinandersetzung harmonisch weiterentwickelt. Die Partei wird ihre Führung nur durch soziale Fortschritte behaupten können. Auch deshalb hat sie für den beginnenden 12. Fünfjahrplan die Losung von der ›Gesellschaft des bescheidenen Wohlstandes‹ entwickelt. Alle sollen das Wirtschaftswachstum spüren. Doch das wird schwerer zu schaffen sein, als 10 000 neue Fabriken zu bauen.«
Ich frage, ob sie auch »Neueinstellungen« der Deutschen Botschaft oder anderer deutscher Institutionen betreut?
Sie schüttelt den Kopf. Und meint, dass die Mitarbeiter der Deutschen Botschaft ein besonderes Völkchen sind. »Sie arbeiten mit Deutschen. Sie wohnen mit Deutschen im gelben Würfel gegenüber vom Hotel ›Kempinski‹. Sie können deutsche Lebensmittel vom Brandt-Zwieback bis Gurken aus dem Spreewald kaufen. Sie bleiben immer unter sich. Mankann auch in Peking sehr deutsch leben, ohne tiefer in die chinesische Welt eintauchen zu müssen. Nach zwei oder drei Arbeitsjahren ziehen sie weiter in die nächste Botschaft. Vielleicht nach Helsinki oder Tokio. Intellektuell sind sie gut drauf, diese Diplomaten. Aber ob sie auch wissen, wie die Chinesen in China wirklich leben und was sie wirklich denken?«
Außerdem meint sie, dass die Deutschen, die aus dem Westen nach Peking gekommen sind, sich von den Deutschen aus der DDR unterscheiden.
»Wir aus dem Westen funktionieren auch in China wie in jedem anderen Land. Wir machen unseren Job. Egal, ob in Peking oder Helsinki oder Tokio, und gleich, ob als Diplomat, Fensterbauer, Manager, Betreuer oder als Autohändler. Und deshalb haben wir es hier in China mit unseren gradlinigen Karrieren leichter als die Leute aus der DDR. Die kommen oft als im oder am Sozialismus Gestrauchelte nach China und beginnen hier ihre frühere Gesellschaft mit der heutigen chinesischen zu vergleichen und versuchen sich dann wie gewohnt dem System anzupassen. Für sie ist China selten die gradlinige Fortsetzung ihres Berufslebens, sondern das Abenteuer eines unfreiwilligen Neuanfangs.«
Robert hat sein erstes Bier ausgetrunken. Ich frage ihn, ob er wirklich die 13 000 Kilometer von Deutschland bis nach Peking mit seinem Motorrad in 75 Tagen geschafft hat.
»Ja. Aber hätte ich gewusst, dass ich Friederike hier treffe, wäre ich schon in 45 Tagen in Peking gewesen. Ich konnte mich damals unterwegs nicht verständlich machen, sprach kein einziges Wort Chinesisch. Wenn ich die Chinesen nach einer Tankstelle fragte, sagten sie mir, wo das nächste Restaurant ist, und wenn ich etwas zu essen haben wollte, wiesen sie mir den Weg zur nächsten Tankstelle. Sie konnten einfach nicht glauben, dass sie mich, ohne dass ich ein Wort Chinesisch sprach, trotzdem richtig verstanden hatten.«
Inzwischen kann er sich mit ein paar chinesischen Worten erstaunlich gut verständigen. Und bei seinen Fahrten durch China hat er neue Rekorde aufgestellt. Ein Amerikaner aus Shanghai war auf einer Schotterstrecke durch China an einem Tag 1020 Kilometer gefahren. Da sagte ein Freund zu Robert: »Das können wir auch.« Doch in den Bergen lag Schnee. Das Essen, das sie mitgenommen hatten, gefror unterwegs. Schon nach zwei Stunden klagten die Nackenmuskeln: »Es reicht.« Doch sie hielten durch und fuhren an einem Tag 1080 Kilometer. »Meiner Bestimmung nach hätte ich vor 200 Jahren im Wilden Westen als Cowboy geboren werden sollen. Aber nun hat mein Pferd eben einen Motor im Leib.«
Er entschuldigt sich, dass er mein Gespräch mit Friederike gestört hat. Ich bestelle ihm noch ein Bier und frage Friederike, was sie sich für ihre Zukunft wünscht?
»Nichts. Nichts, was mir sofort einfällt. Nein, wirklich: Ich wünsche mir nichts.« (Vielleicht hatte sie doch einen Wunsch, denn inzwischen wechselte sie von der Presseabteilung in der Botschaft zu einer großen deutschen Autofirma in Peking.)
Bevor ich in der Wohnung das »Mitleid ist umsonst …«-Buch wieder in das Regal stelle, fotografiere ich die Zeichnungen und Übungsanweisungen auf den Innenseiten des Umschlages. Das immer noch nach Schimmel riechende Portemonnaie von Klaus liegt auf dem Schreibtisch. Darin sammelt er die restlichen Geldscheine aus den Ländern, in die er nun als Manager fährt: Indische Rupien, Patacas aus Macao, Baht aus Thailand und … auch
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