Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Gemälden, Denkmälern und Souvenirs. Vor seinem Porträt, das am Eingang zur Verbotenen Stadt am Platz des Himmlischen Friedens hängt, lassen sich Tag für Tag Tausende Chinesen fotografieren.«
Inzwischen, sagt Igor Kusnezow, leben auch viele Russen in Peking. »Sie gehen in russische Diskotheken, kaufen Kaviar in russischen Läden, trinken russischen Wodka und singen danach schwermütige russische Lieder.« Aber er glaubt nicht, dass ihre Seele noch wie seine in Russland zu Hause ist.
»Vor 5 Jahren habe ich an der Liangmaqiao-Lu-Straße junge Birken gepflanzt. Die Birke, Berjoska, ist der russischste Baum aller russischen Bäume. Nun leuchten ihre weißgefleckten Stämme dort zwischen den grauen der chinesischen Bäume.«
Er versichert, dass er die Wahrheit sagt. Ich könnte mir die Birken anschauen. Die Liangmaqiao Lu, weiß er, ist eine dergroßen breiten Autostraßen, auf denen wir, vom Compound kommend, zum Büro fahren.
Wenn ich ihn noch einmal treffen möchte, würde ich ihn immer hier im Park oder im kleinen Restaurant an der Shunyuan Jie finden.
Bevor wir uns verabschieden, frage ich ihn noch einmal, weshalb er vor 15 Jahren mit seiner 5-jährigen Tochter aus dem Heimatdorf weggehen musste.
»Als ich mit dem Zug in China unterwegs war, ist der Bahnhof abgebrannt – i moja shena Ljuba toshe – und meine Frau Ljuba auch.«
Im »Schillers« fragt mich Klaus, ob ich mich im Park gut erholt habe.
»Ja«, sage ich. Und gebe zwei Bier zum Preis von einem aus.
Am nächsten Tag wird das übliche Schweigen beim morgendlichen Kaffeetrinken und Fernsehen von Klaus gebrochen. Er steht vom Sessel auf, um sich einen Mann, der im Fernsehen über die gemeinsame russisch-chinesische Nutzung der Naturressourcen spricht, genauer anzuschauen. Er nickt ihm zu, als wollte er ihn grüßen, dann sagt er stockend, als könne er es nicht glauben: »Das ist Alexander Lukin! Mit ihm habe ich am IMO in Moskau studiert.«
Abrupt dreht er sich um, schenkt mir Kaffee nach und sagt wohl mehr zu sich als zu mir: »Der Lukin hat wie unsereiner Außenpolitik studiert und zu Sozialismus-Zeiten im Außenministerium gearbeitet. Und nun ist er Professor! Ein China-Experte, der im Fernsehen interviewt wird …«
Zusammenhanglos – das Kurzinterview mit seinem Studienkollegen Lukin ist zu Ende – sagt mir Klaus, dass sich das Management vom Wälzkörperlager in Xingtai per E-Mail bei ihm gemeldet hat.
»Wegen kommender Vertragsverhandlungen?«, frage ich.
»Nein, der Marketingchef Herr Zhang Bin bat nur um die Fotos von unserem Betriebsrundgang.«
Klaus hat inzwischen auch nach Guo Shoujing, dem im Betrieb von Xingtai ein Denkmal gesetzt wurde, weil er angeblich das Wälzlager erfunden hat, gegoogelt.
Guo Shoujing ist 1231 in Xingtai geboren und studierte zuerst Wasserbau. Wegen seiner Fähigkeit, die Mathematik für den Bau von Brücken und das Verlegen von Kanälen zu nutzen, wurde er 1271 zum obersten Beamten für den Wasserbau in China ernannt. Außerdem betätigte er sich als Astronom, entwickelte astronomische Messinstrumente und schuf durch neue Berechnungen der Erdumlaufbahn einen über 300 Jahre gültigen Kalender, der dem gregorianischen ähnelte. 1986 wurde ein Asteroid nach ihm benannt. Und 1991 ließ die chinesische Notenbank 5000 5-Yen-Münzen mit dem Porträt von Guo Shoujing prägen. 3048 mal wurde sie inzwischen verkauft. Zurzeit handelt man die Münze für 39,90 Euro.
Über Wälzlager steht in keinem der Artikel, die sich mit dem Schaffen von Guo Shoujing beschäftigte, auch nur ein Wort.
»So sind sie, meine Chinesen«, sagt Klaus, lächelt und denkt wieder über Professor Lukin nach.
Ich tröste ihn: »Aber er sah schon sehr viel älter aus als du.« Und frage, wie schwer das Studium der Außenpolitik mit Spezialrichtung China damals in Moskau gewesen ist.
»Wir mussten zuvor in der DDR einen Intensivlehrgang in Russisch absolvieren. Man hatte uns gesagt, und so fühlten wir uns auch: ›Es ist ein Privileg, im am weitesten entwickelten sozialistischen Land studieren zu dürfen.‹ In der Theorie stimmte das wohl. Aber das Drumherum!«
Er hätte sich schnell an das Leben im nicht gerade komfortablen Wohnheim, an den Wodka und manche »Schlamperei« gewöhnt. Viel wichtiger aber wären ihm die Begegnungen mit den Menschen in Moskau und bei Fahrten durch das Landund bei Arbeitseinsätzen gewesen. »Die unbeschreibliche Gastfreundschaft dort. Die Alten, die uns ihre Lebensweisheiten mitgaben. Das Feiern
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