Madame Zhou und der Fahrradfriseur
…«
Das Studium sei schwer gewesen. »Wir haben fast jeden Tag bis Mitternacht über den Büchern gesessen. Chinesisch lernen. Und dazu noch ›Das Kapital‹ von Marx in zwei Bänden auf Russisch! Ich hätte es natürlich auch Deutsch lesen können. Aber im Seminar und bei den Prüfungen wurde Russisch gesprochen.«
Die wissenschaftlichen Möglichkeiten aber wären besser gewesen als in der DDR. »Einmal, weil die sowjetischen Professoren toleranter mit westlichen Forschungsergebnissen umgingen, und zum anderen hatte man nicht so viel Angst wie in der DDR, dass die Studenten durch westliche Medien ›ideologisch infiltriert‹ werden könnten. Wir lasen in Moskau auch den ›Spiegel‹ und die ›Frankfurter Allgemeine‹!«
Doch über die Zeit in Moskau sollten wir, sagt Klaus, nicht zwischen Kaffee und Fahrt zur Arbeit reden. Wenn überhaupt, dann später. Aber während er die Tassen artistisch auf das schmutzige Geschirr in der Küche stapelt – »Heute kommt die Ayi« – fügt er hinzu: »Was haben wir in Moskau gefeiert. Mit Speck und Brot und süßem Wein. Meine Geburtstage damals …«
»In zwei Wochen wieder », sage ich. Klaus ist ein Nikolaus.
Er lacht. Dann aber verzieht er das Gesicht und brummelt, als müsste er sich die Worte einzeln abringen: »Nicht alle meine Geburtstage, bei denen Russisch gesprochen wurde, waren gut. Einmal hockte ich unten im Keller. Und die mich oben bewachten, wussten, dass ich Geburtstag hatte. Sie wussten alles von mir…«
Er bringt seiner Frau den Kaffee hinauf. Danach wird er frisch geduscht den Aktenkoffer packen, Silly anschalten, im Büro nachsehen, ob eine gute Nachricht aus dem Betrieb zu Hause im Internet steht.
Er sagt, ich solle mich beeilen und meine Sachen, die ich für die Fünf-Tage-Reise mitnehmen will, einpacken.
Im Büro hat mir Klaus aus der Vogelperspektive gezeigt, an welcher Stelle der Nebenstraße man eines der Taxis, die zu Zehntausenden ständig durch Peking kutschieren, anhalten kann. Es funktioniert. Doch der Fahrer steigt nicht aus, sondern öffnet mir nur von innen die Tür. Er trägt eine fast mantellange Anzugjacke. Sie ist schwarz, hat goldene Knöpfe und verdeckt seine zerschlissene Hose bis über die Knie. Ich gebe ihm den Zettel, auf dem Klaus mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben hat, dass ich zum Südbahnhof möchte. Der Taxifahrer öffnet den Schraubverschluss eines als Teebehälter umfunktionierten Marmeladenglases, nimmt einen großen Schluck, wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab, verschließt das Glas, liest den Zettel, nickt und schaltet das altertümliche Taxameter ein. (Der Kilometer kostet in Peking umgerechnet 20 Cent.)
Danach schweigen wir.
Vor den Olympischen Spielen ließen die Pekinger Behörden Tausende Taxifahrer in Hygiene und Fremdsprachen schulen. Sie mussten sich in Kursen ein Dutzend englische Woher- und Wohin-Sätze aneignen, wurden belehrt (und bei Zuwiderhandlung mit Fahrverboten bestraft), dass es im Taxi nicht nach Schweiß oder anderen Ausdünstungen riechen darf, dass nicht auf den Boden gespuckt wird und dass im Auto auch nicht geraucht, gegessen oder getrunken werden darf.
Die Olympischen Spiele sind seit zwei Jahren Vergangenheit.
Obwohl der Mann wahrscheinlich noch keine dreißig Jahre alt ist, fährt er – falls man in Peking diesen Begriff gebrauchen darf – sehr gemächlich im Strom und versucht nicht, mit Vollgas in Lücken zu rasen oder auf der Standspur zu überholen. Er lenkt das Auto meist nur mit einer Hand, denn in der anderen dreht er zwei kastaniengroße Kugeln. Nach einer halben Stunde ist unsere Schweigefahrt zu Ende. Noch bevor ich bezahle – auch der Taxifahrer nimmt kein Trinkgeld –,schraubt er das Glas auf und bietet mir von dem Tee an. Als ich verlegen lächelnd ablehne, kramt er eine Mandarine aus der Jackentasche, schält sie und drückt sie mir in die Hand.
SPICKZETTEL (6)
Dietrich N., Berufswunsch: irgendein multikultureller Beruf, bei dem man viele Sprachen sprechen muss
Ich möchte später vielleicht in Peking leben. Die Kulturen, die aus der ganzen Welt hier in Peking zusammentreffen, sind alle sehr verschieden. Aber sie sind auch gleich, weil sie von Menschen geschaffen worden sind. Und das macht das Leben hier so interessant. Nachdem man einmal in Peking gewohnt hat, findet man meistens große Städte sehr gut. Hier kann man viel mehr unternehmen als in einer deutschen Kleinstadt.
Den Chinesen wünsche ich sehr, dass sie verstehen, dass die
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