Madame Zhou und der Fahrradfriseur
eine kunstvolle Kalligraphie und Armbänder aus dicken Perlen, die Kuni und meine Töchter vor allem Unheil bewahren sollen.
Kuni wird das olivfarbene Armband noch tragen, als wir wieder in Peking sind.
Beim Abschied lege ich, immer noch nicht wissend, wie man einen taoistischen Abt grüßt, nach orientalischer Art wieder meine linke Hand auf das Herz.
Weil der Unternehmer Xuan Jiaguo am Nachmittag geschäftlich verreisen muss, werden wir, wie Herr Wu Ming sagt, »noch ein Stündchen durch das Gelände des ehrwürdigen Dai-Tempels spazieren«. Viele Jahrhunderte war das Betreten des Heiligtums nur der kaiserlichen Familie und den Ministern erlaubt. »Der Kaiser schritt durch das Mitteltor, die Minister durch die Tore links und rechts davon, und als in der Son-Dynastie auch das Gefolge den Tempel besuchen durfte, errichtete man seitlich noch ein viertes und ein fünftes Tor.«
Wir gehen zwar durch das mittlere Tor, aber der Tempel interessiert mich nicht sonderlich, denn ich bin in Gedanken schon bei dem Gespräch mit dem Unternehmer, von dem ich mir Auskunft über das Entstehen des chinesischen Wirtschaftswunders erhoffe. Als ich Kuni bitte, sie solle mir durch ihre diplomatische Übersetzung helfen, dass der Unternehmer erzählt, wie man in China zum Millionär wird, sagt sie lachend: »Danach hätte ich mich auch ohne Ihre Frage bei ihm erkundigt!«
Wegen dieser Neugier auf einen Manager des chinesischen Wirtschaftswunders erinnere ich mich nur noch an wenige, wahrscheinlich unwichtige Einzelheiten der Besichtigung des Tempels.
Zum Beispiel an die Tempel-Erklärerin, die Herr Wu Ming bestellt hat und die uns länger als eine Stunde über Flächenmaße,Jahreszahlen, historische Geschichten und Herrschaftsnamen informiert. Sie ist noch jung, trägt ein schwarz-blau gestreiftes Minikleid über wollenen Strumpfhosen und lässt ihr Haar, obwohl es mit einem hellen, schmalen Band zusammengerafft ist, sehr locker fallen. Vor dem Bauch baumelt unter der Nummer 007 ihr in Plaste eingeschweißtes Erkennungsfoto.
Auch an die Bäume erinnere ich mich. Im 19. Jahrhundert hatte ein General versucht, den Tempel zu zerstören und dabei die Bäume angezündet. Hunderte stehen schwarzstämmig, wie angekohlte oder in den Jahrhunderten auseinandergerissene Stelen. Aus einigen der über 1000-jährigen Bäume, die nur noch durch gespannte Drähte aufrecht gehalten werden, und sogar aus den verkohlten Exemplaren wachsen strauchförmig grüne Büschel. Zusammen mit den durch Feuer und Wasser ausgehöhlten meterhohen Steinen sind sie das Pendant zu den von Künstlern gefertigten Skulpturen in europäischen Parks. Hier hat nur die Natur Hand angelegt.
In den Souvenirläden des Tempels liegen neben bunten Drachen und goldenen Buddhas auch ineinandergeschachtelte Matroschkas und bärtige Gnome. Und Räucherstäbchen in allen Größen. Die neben den Verkaufstischen stehenden »Räucherraketen« sind mindestens einen Meter lang. Kuni versichert, dass diese Raketen ihre reichen Käufer nicht besser beschützen als die kleinen, die wir beim Abt angezündet haben. »Der sie opfert, gibt an wie mit einem großen Auto«, sagt sie. Und ergänzt lachend: »Oder es sind Extraanfertigungen für die neuen chinesischen Millionäre.«
Im Tempel »Die Macht der Natur« müssen wir anstelle der in Deutschland üblichen Filzlatschen blaue Plastetüten über unsere Schuhe stülpen und gehen dann bis zu einem 60 Meter langen Wandgemälde, das nur durch ein Seil vor Berührungen geschützt ist. Auf dem Gemälde sind 697 minutiös gemalte Menschen bei einer Prozession am Tai-Shan-Berg zu sehen.Die Farben verblassen schon, aber niemand kann sie heute noch restaurieren. Die neuen Chemiefarben würden die alten noch erhaltenen Naturfarben »auffressen«. Und das Geheimnis, wie die Naturfarben angemischt wurden, ist inzwischen verlorengegangen. »Man hat es leider nicht so gut bewahrt wie die Geheimnisse der Traditionellen Chinesischen Medizin«, sagt unsere Fremdenführerin.
In Erinnerung geblieben sind mir auch viele junge Leute, die mit geschlossenen Augen um einen besonders löchrigen hohen Stein liefen.
»An diesem Stein mussten die Minister des Kaisers stehenbleiben und warten, bis er aus dem Tempel zurückkam.«
Die Eltern, die heute mit ihren Kindern mit geschlossenen Augen um den Stein rennen, dreimal rechtsherum und dreimal linksherum, versuchen zu einem etwa 30 Meter entfernt stehenden Baum zu gelangen und ein kanonenkugelgroßes Loch in seinem
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