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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Eine Frau in dunkler Kutte nimmt, wenn sie Wasser daraus schöpft, den Deckel vorsichtig ab und legt ihn danach wieder, als müsste das Wasser vor Staub geschützt werden, sorgsam auf den Kesselrand.
    Ich muss den Abt nichts fragen. Nachdem wir den ersten Schluck Tee, den die Frau mit dem heiligen Wasser gekocht hat, getrunken haben, berichtet er unaufgefordert. Und spricht wieder, als ob er eine Reiterarmee befehligt, sehr laut über sein Leben.
    Geboren wurde er 1950 in dem Dorf Pingyuan Dazhou. »Meine Eltern waren Bauern. Ich habe noch 16 Geschwister. Eines starb schon bei der Geburt. Jetzt sind wir noch 6.«
    Im Dorf gab es eine Kirche für die Christen und einen buddhistischen Tempel.
    »Meine Großmutter war Christin, meine Mutter taoistisch und mein Vater ungläubig.« Von 1956 bis 1966 ging Huo Huaxu zur Schule. Danach sollte er Verkäufer werden. »Aber ich wollte nicht durch Handelmit dem, was von anderen Menschen hart erarbeitet worden war, mein Brot verdienen. Ich wollte den Boden selbst bearbeiten und sehen, wie durch meine Mühe alles wächst. Ich war immer ein Bauer. Und ich wurde als einziger meiner Geschwister ein gläubiger Mensch.«
    Sein Handy klingelt. Ohne die Stimmlage zu wechseln, telefoniert er laut und lange.
    Dann erzählt er von seiner Mutter, die sich, wie es der Taoismus verlangt, um eine alte Frau im Dorf gekümmert hat. »Wenn meine Mutter zu ihr ging, nahm sie mich mit. Als die Horden der Kulturrevolutionäre auch in unser Dorf kamen, plünderten sie sowohl die Kirche der Christen, als auch den taoistischen Tempel und rissen beide ab. Doch die Bauern versteckten kleine Altäre in ihren Häusern. Und in der Nacht lernten wir die Regeln des taoistischen Glaubens. Wenn am Tag die Kontrolleure der Partei erschienen, ließen wir die Räucherstäbchen, die goldenen Figuren und die Bücher des Laotse verschwinden und legten dafür die marxistischen Bücher von Mao Zedong auf den Tisch. Die alten Weiber oder Kinder passten vor den Häusern auf und warnten das Dorf vor den Kulturrevolutionären. Ein Bauer hatte sogar seinen Hund dressiert. Er bellte, sobald sich die Jungen und Mädchen mit den roten Binden an den Uniformen den Häusern näherten.«
    Als die Religionen von der Kommunistischen Partei wieder erlaubt wurden, ging der Bauer Huo Huaxu, der sich den Glauben selbst angeeignet hatte, als Schüler zu einem Lehrer des Taoismus. Bei ihm bestand er alle Prüfungen und kam 1985 in das Kloster am Tai Shan. Nun unterrichtet er als Abt Schüler im taoistischen Glauben und lebt, ohne nach Reichtum im irdischen Leben zu streben. »Erst im Himmel wird der Mensch mit dem Reichtum des ewigen Lebens belohnt werden.«
    Von den drei in Harmonie nebeneinander existierenden großen Religionen und Philosophien in China, dem Buddhismus, dem Konfuzianismus und dem Taoismus, hat der Taoismus, meint er, den Vorrang. Er ist schon 400 Jahre vor der Zeitrechnung unter Laotse entstanden. Der Konfuzianismus hat erst 200 Jahre später in der Han-Dynastie Bedeutung erlangt, und der Buddhismus ist mit Beginn der Zeitrechnung von Indien nach China gekommen. Doch chinesische Historiker behaupten inzwischen, dass der Buddhismus aus dem von den Indern damals falsch interpretierten chinesischenTaoismus entstanden ist. Laotse war nach Indien gegangen, um den ungläubigen Indern den Taoismus zu lehren. Die jedoch hatten seine Lehre nicht begriffen und daraus eine den Taoismus zwar verfälschende, aber ähnliche Lehre, den Buddhismus, entwickelt.
    Den Taoismus kann er mir, unterbricht der Abt seinen Redeschwall, nicht in wenigen Sätzen erklären. »Das Dao ist das Universum, das seit Urbeginn existierende Absolute, aus dem alle Dinge und Erscheinungen des Kosmos, das Materielle und das Ideelle, entstanden sind und das immer noch den Lauf der Welt regelt. Diesen Lauf der Welt kann man nur beobachten und das eigene Handeln diesem Lauf anpassen. Man darf sich nicht mit Willenskraft oder geistiger Anstrengung dagegen stemmen, sondern muss dem Fluss der Dinge seinen Lauf lassen. Ein Taoist lebt den vorgezeichneten Weg der Harmonie mit sich, der Natur und der Gesellschaft.«
    Er gibt Kuni ein Zeichen, dass es nun genug ist, denn der Mönch legt schon die Essstäbchen neben die Teller, für uns kurze, hölzerne Wegwerfstäbchen, für den Abt sehr lange, edle, schwarze. Als der Abt sich vorbeugt, um die Konsistenz der Süßkartoffeln zu prüfen, bemerke ich, dass das Schwänzchen, das aus seinem offenen Hut herausragt, nur das

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