Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Glasröhrchen. Zum Schluss holt der Unternehmer eine Schublade aus Edelholz, in deren Fächern viele Schächtelchen mit verschiedenen Teesorten liegen.
Die anschließende Zeremonie dauert fast eine Stunde, und ich habe das Gefühl, dass sie nicht extra für uns inszeniert worden ist, sondern dass sich die drei Männer damit begrüßen. Herr Wu Ming sagt, dass sie dadurch das Yin und Yang zwischen der lauten, anstrengenden Arbeit und dem leisen, erholsamen Teetrinken herstellen. Am Ende der kultischen Handlung weiß ich, dass der Tee reihum in winzigen Schlückchen ausgeschenkt wird – der helle Tee in die Glasschälchen, der dunkle Tee in die aus Porzellan. Ich erfahre, dass in den Teeröhrchen verschiedene Sorten ausprobiert werden, dass der erste Aufguss sofort wieder weggeschüttet wird, dass grüner Tee, der die Frau und ihre Leichtigkeit symbolisiert, von den Südchinesen bevorzugt wird. Der schwarze kräftige Tee dagegen symbolisiert die Stärke des Mannes und wird vor allem von den Nordchinesen getrunken. Ich lerne, dass man Tee wie einen Menschen nicht auf einmal, sondern Schluck für Schluck erkennen kann: der erste Blick, das Aussehen, die ersten Worte eines Menschen sind gleichbedeutend mit der Farbe, dem Geruch und dem Geschmack des Tees. Ich lerne, dass man den Tee wie Wein »schlürft«, dass man die Nüsse und Plätzchen nicht zum Tee, sondern zwischenden einzelnen Teesorten isst, dass grüner Tee den Magen reizt, dass es weißen, roten, schwarzen und goldenen Tee gibt und dass Liebhaber für 100 Gramm besonders seltenen und alten Tees über 2000 Yuan (200 Euro!) bezahlen.
Ich habe in der ersten Stunde unseres Zusammenseins mit dem Unternehmer viel von Tee, aber noch nichts über die Arbeit eines Unternehmers erfahren. Ich weiß nicht, wie er sich den Betrieb aufgebaut hat. Und ob er so viel Gewinn macht, dass er täglich Tee, der über 2000 Yuan kostet, trinken könnte.
Auf dem Weg zur Toilette muss ich durch ein Nebenzimmer gehen, in dem ein Bett mit zurückgeschlagener Decke steht. Über dem Waschbecken liegen Zahnbürste, Seife, Kamm und Cremedose, und am Kleiderhaken hängt ein Morgenmantel.
»Schlafen Sie im Betrieb?«
Der Unternehmer nickt. »Manchmal, wenn die Arbeit zu viel wird, bleibe ich drei Tage ununterbrochen in der Fabrik und schlafe und esse hier.« Allerdings würde er sich, wie heute Nachmittag, auch regelmäßig erholen. Wenn alles gut läuft, könne er seine Arbeit genießen und sich dabei erholen. Er brauche nicht wie Unternehmer in Europa …
Der chinesische Unternehmer Xuan Jiaguo stockt und wählt seine Worte langsam und sorgsam, damit ich keine Kritik heraushöre. »Ich war in einer großen österreichischen Firma zu einem Arbeitsgespräch mit dem Chef eingeladen. Als ich eintraf, war der Chef nicht zu sprechen. Er müsste sich von der Arbeit erholen, sagte seine Sekretärin. Na gut, dachte ich, morgen wird er sich erholt haben. Doch man teilte mir mit, dass er sich vier oder fünf Wochen auf einer Insel, wo er nicht erreichbar ist, ausruhe.«
Vielleicht, meint Xuan Jiaguo, besteht der Unterschied zwischen einem jungen europäischen und einem chinesischen Unternehmer darin, dass die meisten Eltern der europäischen Jungunternehmer selbst Unternehmer waren oder zu einer Bevölkerungsschicht gehörten, die nie körperlichgearbeitet hat. Deshalb mussten das auch ihre privilegierten Söhne nie tun. »In China sind die Eltern der jungen Unternehmer Bauern. Und bevor ich studieren konnte, habe auch ich auf den Feldern gearbeitet. Der Vater legte jeden Yuan für mein Studium zur Seite.«
Inzwischen hat er den Eltern im Dorf ein Haus bauen lassen.
Ich frage, wie aus dem Bauernsohn Xuan Jiaguo der Unternehmer Xuan Jiaguo geworden ist, der in seinem Betrieb 356 Menschen beschäftigt.
»Ich bin 38 Jahre alt und hatte also schon viel Zeit in meinem Leben, die ich nutzen konnte.« Nach dem Maschinenbaustudium arbeitete er von 1995 bis 1997 in einem staatlichen Betrieb als Ingenieur und Verkäufer. »Danach wechselte ich zu einem privaten Unternehmen.«
»Weshalb?«
»Weil die privaten Betriebe flexibler und risikofreudiger als die staatlichen sind. Sie erwirtschaften auch mehr Gewinn. Man kann dort besser verdienen.«
»Also wird es künftig in China nur noch private und keine staatlichen Großunternehmen mehr geben?«
»Nein, der Staat braucht die Macht der staatlichen Wirtschaft. Er kann nur stark sein, wenn seine eigenen Unternehmen stark sind.« In der privaten Firma
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