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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Ende seines dicken, darunter zu einem Knoten gebundenen Haares ist.
    Ich möchte ihn fragen, wie die jungen Chinesen die Lehren des Taoismus beherzigen. Aber noch ehe Kuni meine Worte übersetzt hat, referiert er, als hätte er meine Frage geahnt, schon über den Taoismus im neuen, »reichen China«. Er bedauert, dass, obwohl der Taoismus sehr modern ist – »auch Frauen dürfen Abt werden« –, immer weniger junge Chinesen dessen Regeln befolgen. »Sie zünden zwar Räucherstäbchen an, hängen ihr Schloss an den Baum der Liebe und verneigen sich im Tempel, aber sie beherzigen selten, dass sie auf Erden nicht nach Geld und Gütern streben, sondern harmonischund bescheiden leben sollen. Und dafür im Himmel den Reichtum geschenkt bekommen.«
    Allerdings könnte auch er jungen Menschen den Glauben nicht wie Lesen und Schreiben beibringen. »Er muss aus dem Herzen wachsen. Nicht alle, denen ich den Taoismus predige, werden gläubige Taoisten. Oder werden alle Dichter, denen Sie Gedichte vorlesen?«
    Er schweigt. Dann lächelt er zum ersten Mal und bittet, dass wir, die wir um den Opfertisch sitzen, essen sollen.
    Auf dem runden Tisch stehen nur Gerichte, die aus selbst angebautem Gemüse und Früchten gekocht sind. Und Fleisch von Hühnern und Fischen, die ihm die Schüler gebracht haben. Und dazu selbstgebrannter Schnaps.
    Der Abt schiebt den Teller mit den Fleischstücken zu mir hinüber und nimmt sich dafür die Schüssel mit den dicken, in Öl gebratenen Möhren. Er trinkt keinen Schnaps, fragt mich aber nach meinem ersten Glas, was ich über China schreiben werde. Und antwortet selbst darauf: »Die Zeit der Reise mit Herrn Wu Ming ist zu kurz, um die Menschen in China kennenzulernen. Und weil Sie bei Deutschen in Peking wohnen, mit Deutschen essen gehen und die deutschen Freunde der Deutschen besuchen, werden Sie nicht viele Chinesen kennenlernen.« Doch ich sollte nicht versuchen, dagegen zu handeln, ich müsste diese vorgegebene Situation meines Aufenthaltes in China nur annehmen und könnte etwas erfahren, was andere nicht erfahren. »Sie werden danach wissen, wie die Deutschen wirklich denken, wie sie fühlen und wer sie sind. Nur in der Fremde, wenn man sich von den eigenen Leuten unbeobachtet fühlt, vergisst man sich zu verstellen. Und wenn Sie schreiben wollen, wie Chinesen wirklich denken und fühlen, studieren Sie deren Verhalten in Deutschland.«
    Er lässt sich nur von einem Handyanruf unterbrechen. Und ich versuche jeden Satz seiner Rede, die mir Kuni übersetzt, wörtlich aufzuschreiben, bin verblüfft, was er alles,ohne mit mir darüber gesprochen zu haben, über mich weiß, und frage, ob er ein Hellseher ist.
    »Ich weiß vieles von den Menschen, mit denen ich noch nie gesprochen habe. Ich lese in ihren Gesichtern, wie andere aus ihren Händen.« Aber er werde diese Fähigkeit nicht missbrauchen. »Es gibt in China schon viele Quacksalber, die entweder mit falschen Versprechen oder Wahrsagen die Menschen betrügen.«
    Er weiß von seinem Freund, dem Heiler, ohne mit ihm darüber geredet zu haben, dass er die Schönheit der Frauen liebt. Er weiß auch, dass sein Freund, der Unternehmer, sich dagegen wehrt, den erarbeiteten Reichtum zu verschwenden. »Und wenn ich meinem Freund Wu Ming in das Gesicht schaue, weiß ich, dass er sich hier im Kloster bald einmal allein erholen sollte, um wieder zu sich finden zu können. Und ich hoffe, dass seine zwei Söhne zurückkehren vom Weg des Geldes, den sie eingeschlagen haben.«
    Von Kuni sagt er nichts, oder sie übersetzt es mir nicht.
    »Ich wusste«, versicherte der Abt, »bevor Sie mich gefragt haben schon, was Sie mich fragen werden.«
    Ich lächele unsicher und bitte ihn, meine vier Standardfragen zu beantworten.
    »Was ist für Sie ein guter Tag, Herr Huo Huaxu?«
    »Für mich ist jeder Tag ein glücklicher Tag.«
    »Und was ist für Sie ein schlechter Tag?«
    »Wer nur glückliche Tage hat, kennt keine schlechten.«
    »Was wünschen Sie dem Land China?«
    »Friede für das Land und Harmonie für alle chinesischen Familien.«
    »Und was wünschen Sie für sich?«
    Ich schaue ihm ins Gesicht und weiß die Antwort. »Ich habe mir alle meine Wünsche schon erfüllen können.«
    Und ich frage ihn nicht mehr nach den 4 Millionen Yuan, die ihm für die Renovierung des Tempels fehlen.
    Er schenkt Kuni und mir – die wir, wie er sagt, mit ihm am Opfertisch gesessen und uns im Tempel verneigt und damit der Unsterblichkeit nahe gewesen sind – zum Abschied

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