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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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verdiente Herr Xuan Jiaguo so viel, dass er in den wirtschaftlich reicheren Süden nach Ningbo gehen und sich dort bei einer Firma nicht nur mit seinen Kenntnissen, sondern auch mit 25 Prozent Kapital einbringen konnte.
    »Und von wem bekamen Sie das Geld dafür?«
    »Kredite erhält man in China schwerer als in Deutschland. Ich brauchte deshalb die finanzielle Hilfe von Leuten, die an mich glaubten.«
    »Auch von Leuten aus der Partei und den Behörden?«
    »Ja. Aber das war nur zu Anfang wichtig. Danach musste ich alles allein schaffen. Doch weil die Wirtschaft in China sich sehr schnell entwickelt, sind Maschinen eine begehrteWare. Und wir haben an den chinesischen Universitäten eine gute Ingenieurausbildung erhalten. Außerdem betragen die Lohnkosten chinesischer Arbeiter nur ein Viertel der von ähnlich qualifizierten Arbeitern in Europa. Die Aktien des Betriebes in Ningbo stiegen sehr hoch.«
    Er ließ sich das Geld seiner Aktien auszahlen und errichtete 2004 mit seinem Freund Liu Junbo diesen Betrieb.
    Ich sage, dass es heute anscheinend nicht schwer ist, in China einen neuen Betrieb erfolgreich aufzubauen.
    Er widerspricht mir mit einem für ihn ungewöhnlich langen Monolog. »Wenn man, um ein Unternehmen zu gründen, die Stationen von eins bis zehn durchlaufen muss, kapitulieren manche schon bei der ersten oder zweiten Station. Ich habe inzwischen die 10. geschafft. Dazu braucht man allerdings Zuversicht und Stärke, ein großes Wissen und die Einsicht, dass auch Fehler, die man macht, nützlich sein können. Ich hatte zuerst einen Partner, der nicht in die Zukunft schauen, sondern nur sehr schnell reich werden wollte. Dadurch erlitten wir große Verluste. Aber ich jammerte nicht, sondern gewann aus dem Fehler die nötige Erkenntnis, jeden neuen Partner zuvor sehr genau zu prüfen. Doch das Wichtigste, das ich schon aus der Philosophie kannte, aber nun in der Wirtschaft anwenden sollte, war das Wissen über den unabänderlichen Lauf der Welt. Ich musste immer überlegen, wie ich mich der politischen und ökonomischen Entwicklung anpasse, ohne mich gegen sie zu stemmen. Wenn die Stadt oder der Staat die Finanzbestimmungen ändert, nützt es einem nichts, die Kräfte zu vergeuden und dagegen zu protestieren. Stattdessen muss man gründlich überlegen, wie man sich den neuen Bedingungen im Fluss des Lebens anpasst.«
    Ich unterbreche ihn und sage: »So könnte das auch der Abt formulieren.«
    Xuan Jiaguo nickt. »Wenn Laotse heute leben würde, hätte er sich nicht gegen den Lauf der Welt gestemmt, sondern sichals ein kapitalistischer, jedoch sozial denkender Unternehmer eingefügt.«
    »Aber auch Laotse wäre heute gezwungen, Konkurrenten zu bekämpfen und des Gewinnes wegen über Leichen zu gehen.«
    Der Unternehmer protestiert: »Die Konkurrenz ist hier größer als in Europa, denn in China leben mehr Menschen, also wollen auch mehr vom Geschäft profitieren. Aber ein Geschäft ist immer ein Geschäft mit Menschen. Ich möchte meinen Konkurrenten noch guten Tag sagen können und einige weiterhin als Freunde behalten. Statt darüber nachzudenken, wie ich andere vernichte, versuche ich herauszufinden, wo ich unsere Produkte noch anbieten kann. Bevor ich den Röhrenbetrieb aufbaute, habe ich viele Monate den Markt für Ölleitungsrohre studiert. In den USA liegen 600 000 Kilometer. In China, mit viermal mehr Menschen noch nicht einmal 300 000 Kilometer.«
    »Weshalb sind Sie, Herr Xuan Jiaguo, nicht schon auf den Stationen fünf oder sechs, also mit einem kleineren Betrieb und einem kleineren Gewinn stehengeblieben, sondern haben sich auf der von Ihnen gewählten Skala bis zur 10 hochgearbeitet? Um immer mehr Geld zu erwirtschaften?«
    »Nein, um noch sinnvoller leben zu können. Für manche Menschen ist es sinnvoll, jeden Tag eine sehr lange Straße sehr sauber zu kehren. Für andere, wie für mich, ist es sinnvoll, eine große Fabrik erfolgreich zu managen und dadurch vielen Menschen eine Arbeit geben zu können.«
    »Beschäftigen Sie auch Wanderarbeiter aus den Dörfern?«
    »Ja. Ich bin, wenn Sie so wollen, selbst ein Wanderarbeiter aus dem Dorf.«
    »In deutschen Medien stand, dass Wanderarbeiter in China durch ausländische und chinesische Unternehmer oft so menschenunwürdig behandelt und ausgebeutet werden, dass sich einer von ihnen aus Protest vom Dach des Betriebes gestürzt hat.«
    Er antwortet nur sehr kurz: »In meinem Betrieb erhalten die Wanderarbeiter den gleichen Lohn wie alle

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